In den Hallen von Eleos (3)

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Entgegen meiner Erwartung stehe ich am nächsten Tag wieder vor der goldenen Tür. Es ist die gleiche Szene wie gestern, mit der Ausnahme, dass ich diesmal allein bin und den Umhang der Priorin trage.

Nicolas und ich haben die Frau namens Freya ins Kolleg gebracht. Eric hat sich dort um sie gekümmert - für seine Verhältnisse überraschend einfühlsam. Er war auch der einzige, der sie kannte, logisch, sie ist schließlich ein Mitglied seines Kollegiums. Nach einer warmen Mahlzeit ging es ihr zumindest so gut, dass sie mit ihrem Portalbuch die Heimreise antreten konnte.

Was daraufhin in Demetras Arbeitszimmer folgte, war die hitzigste Diskussion der Alumni bisher. So wenig es uns allen gefällt: Wir müssen mit Eleos verhandeln. Das heißt, unser Angebot muss gut sein. Neu. Unterhaltsam für einen uralten Narzissten. Das Kolleg ist reich, aber nichts in unserer Sammlung kommt an die Schätze heran, die ich in seinen Hallen gesehen habe. Wir waren schon kurz davor aufzugeben, als Faustia einen gewagten Vorschlag machte. Es war umso gruseliger, weil sie ihn in ihrer ruhigen besonnen Stimme vorgetragen hatte- eher als würde sie uns zu einer Teezeremonie begrüßen, nicht provokante Ideen in den Raum werfen. Nachdem wir unseren ersten Schock überwunden hatten, fanden wir den Gedanken aber gar nicht mehr so abwegig. Bei Morgengrauen war die Sache beschlossen.

Als sich die Torflügel öffnen, versuche ich krampfhaft nicht an Freya zu denken. Oder vielleicht sollte ich gerade an sie denken? An die Verzweiflung in ihren Augen, ihre Tränen, als alles, was sie sich in ihrem Leben aufgebaut und verdient hat, mit einem Fingerschnippen als wertlos abgetan wurde. Als ihr Besitz vor ihren Augen zu Asche zerfiel und ihr das eine, das letzte genommen wurde, was sie noch an die Person erinnerte, die sie geliebt hat. Von einem Wesen, das auf ganzen Hallen voller Schmuck sitzt. Das diese Ohrringe weder braucht noch tragen wird.

Ja, ich sollte an sie denken. Freya ist eine Wächterin von Stormglen Manor. Ein Mitglied des Kollegs, für das jetzt ich verantwortlich bin. Sie geht mich an.

Also hebe ich den Kopf und balle die Hände zu Fäusten, während ich durch die großen goldenen Torflügel schreite.

Sanftes, warmes Licht empfängt mich, begleitet von Vogelgezwitscher. Irgendwo plätschert ein Brunnen. Ich muss noch immer unter der Erde sein. Aber die Halle...?

Über mir erstreckt sich ein zartblaues Gewölbe wie ein wolkenloser Mittagshimmel. Zierliche Marmorsäulen umschließen das Vordach eines Innenhofs. Überall rund herum wachsen exotische Pflanzen. An den Wänden und um die Säulen rankt sich wilder Wein. Aber es ist nicht die Tatsache, dass wir kilometerweit unter der Erde sind, an einem Ort, wo weder Pflanzen gedeihen, noch Wind und Himmel existieren sollten, die mich erstarrt stehen bleiben lässt. Nein. Es sind die Menschen. Die sehr spärlich bekleideten Menschen.

Sie sind überall. Essen Früchte von goldenen Platten und werfen sich gegenseitig Trauben in den Mund. Trinken aus silbernen Bechern und reichen dampfende Pfeifen von Mund zu Mund. Jagen sich durch die Fontänen der marmornen Springbrunnens. Balancieren Schmetterlinge auf den Fingern, tanzen oder spielen auf der Harfe. Es sind Männer und Frauen unterschiedlichsten Aussehens. Nur eines scheinen sie alle gemeinsam zu haben: Sie sind jung, vermutlich Mitte zwanzig. Und schön. Überirdisch schön, mit perfekt symmetrischen Gesichtern, vollen Lippen und Wimpern, strahlend weißen Zähnen und geschmeidig glänzendem Haar, als seien sie direkt einer Shampoo Werbung entsprungen. Zu schön, zu perfekt, um echt zu sein. Die ganze Szene wirkt wie die mit Instagram-Filtern überzogene Fantasiewelt eines Modelabels. Ich meine im Deutschunterricht schonmal einen Begriff für so etwas in der Literatur gehört zu haben. Locus... irgendwas?

Nur in der Mitte des Geschehens, erhöht auf einem marmornen Sitz, thront jemand, der so gar nicht dazu passt. Er sieht aus wie ein Zwerg aus dem Hobbit. Wenn Zwerge Hawaiihemden tragen und im Schneidersitz auf orangenen Meditationskissen sitzen würden. Die Ähnlichkeit kommt vermutlich von dem langen Weihnachtsmannbart, der über seinen dicken Bauch und die Stufen hinunter wallt. Außerdem ist er ungewöhnlich klein und hat ein breites Gesicht mit schmalen, schwarzen Augen und spitzen Ohren. Kein Elf, kein Zwerg, aber auch kein Mensch. Asteria hat Recht. Eleos ist einfach Eleos.

FabelblutWhere stories live. Discover now