Die Schwestern von Stormglen (2)

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Mein erster Gedanke ist, dass ich gerade im Büro eines alternden Hippie-Professors mit Zimmerpflanzen-Obsession gelandet bin. Ja, wirklich, der Stilmix ist so crazy: grüne Ohrensessel neben geflochtenen Korbstühlen. Vintage-Naturkundeplakate von Schmetterlingen und eine Sammlung englischer Cottage-Teekannen mit Blümchen oder Fliegenpilzen.

Und dann die Pflanzen. Kein Quadratmeter der nicht begrünt ist. Dieses Zimmer hat alles: Tropische Kletterpflanzen, Kakteen, sogar ein kleiner Bonsai. Sie wuchern scheinbar unkontrolliert durch den Raum. In Töpfen und Untersetzern, auf Tischen, als Ranken von Bücherregalen oder Fensterbrettern.

Inmitten des grünen Chaos thront Demetra.

Sie sitzt an ihrem Schreibtisch, umgeben von hohen Bücherregalen, eine Sprühflasche in der Hand, mit der sie sich gerade über einen Farn beugt. Ihr Gesicht wird von einer altmodischen Schreibtischlampe aus grünem Glas beleuchtet, wie man sie heute noch in manchen Unibibliotheken findet. Dieses Büro ist einer der verrücktesten Räume, die ich je gesehen habe. Es wirkt, als wäre es von der Hardware auf Studierzimmer eines reichen Gelehrten hin gebaut und erst von Demetra bei der Übernahme mit der Software Öko-Pflanzenliebhaber überspielt worden.

„Lina!" Als sie mich sieht, strahlt sie. Sie hat wirklich ein schönes Lächeln, es bringt ihr ganzes Gesicht zum Leuchten. Manche Menschen sehen grundsätzlich ernst oder schlecht gelaunt aus. Die können dann meistens gar nichts dafür, das ist einfach ihr Gesicht. Bei Demetra ist es genau umgekehrt. Sie sieht immer aus, als habe ihr gerade jemand ein Geburtstagsgeschenk überreicht.

Während ich noch denke, ist sie schon um den Schreibtisch herumgekommen und hat sich in den grünen Sessel vor dem Kamin gesetzt. „Bitte, nimm Platz." Ich lasse mich auf den hängenden Korbstuhl gegenüber sinken. Er ist so weich, dass ich mehrere Zentimeter einsinke und meine Füße berühren den Boden nicht.

Sie sieht mich erwartungsvoll an. „Ich hoffe, du bist gut zuhause angekommen?"

Ich bringe nur ein Nicken zustande.

„Und Mo? Hat er sich benommen?"

Wieder ein Nicken.

„Schön. Er kann manchmal ein bisschen forsch sein, damit kommt nicht jeder klar." Sie seufzt. „Eleanors Erziehung..."

Bei dem Namen huschen Erinnerungsfetzen durch meinen Kopf. Der Friedhof, die Katze, die Frau in Schwarz. „Eleanor ist Mos Mutter?"

Demetra lächelt unentwegt, aber da ist ein Schatten auf ihrem Gesicht, der vorher nicht da war. „Nein."

Mehr sagt sie nicht und ich bohre auch nicht weiter nach. Selbst wenn mich interessieren würde, was die beiden miteinander zu tun haben: es geht mich nichts an.

„Hast du dich schon entschieden?", fragt Demetra in ihrer üblichen, höflichen Art.

„Ich..." Einen Moment lang suche ich nach den richtigen Worten. „Es tut mir Leid, aber..."

„Ja?"

„Ich kann mir einfach immer noch nicht vorstellen, dass ich irgendwelche magischen Kräfte haben soll. Dass es Magie gibt, ok. Das kann ich akzeptieren. Aber ich... Ich meine, schauen Sie mich doch an."

„Wir sind uns vollkommen sicher", sagte Demetra immer noch freundlich, „Die Fabelnacht lügt nicht."

„Warum hab ich dann nie was davon gemerkt? Warum habe ich meine Deutschlehrerin nicht schon längst in eine Kröte verwandelt?"

Ich meine zu sehen, wie ein Schmunzeln über Demetras Mundwinkel wandert. „Bei den meisten erwachen ihre Kräfte nicht vor ihrer Fabelnacht", erklärt sie mir, „Magische Begabungen sind so individuell wie die Menschen, die sie haben. Manche Wächter können das Wachstum von Pflanzen beschleunigen. Andere rufen den Wind, oder bringen Wasser mit bloßer Gedankenkraft zum Kochen. Echte Magie hat nichts mit Zaubersprüchen, Karten oder Kristallkugeln zu tun, Lina. Sie bedeutet Macht über die Naturgesetze, über die Energien, die diese Welt am Laufen halten."

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