Ante Portas (2)

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Gut, ich geb's zu. Könnte sein, dass ich den Mund mal wieder etwas zu voll genommen habe.

Die nächsten Wochen bis zum Frühlingsvollmond sind die schmerzhaftesten meines Lebens. Und ich spreche nicht von Angst oder Trauer. Bald habe ich das Gefühl, dass jeder Zentimeter meiner Haut entweder von blauen Flecken übersäht ist, oder anderweitig schmerzt. Muskelkater ist mein ständiger Begleiter, ich wache keinen Morgen auf, ohne, dass mir etwas Neues wehtut. Dad und Mareike denken, ich hätte ein Abo im Fitnessstudio. In Wahrheit sind daran natürlich einzig und allein Nicolas und sein rigoroses Trainingsprogramm schuld.

Offenbar eignet sich die Substanz von Schatten wunderbar dazu sämtliche Waffen aus ihnen zu formen, die man sich nur vorstellen kann. Nachdem wir zwei Wochen lang geübt haben, sie wie Damon im Gefängnis als schwarze Bänder hin und her peitschen zu lassen oder schnelle, schwarze Pfeile aufeinander zu schießen, gehen wir jetzt zum Nahkampf mit Schattenschwertern über. Und das bedeute für mich: Einführung in die hohe Kunst des Schwertkampfes.

Wieder so eine Sache, die in Fantasy Filmen irgendwie immer leichter aussieht. Mehr wie tanzen, als kämpfen. Dass es in Wahrheit nicht ganz so leicht ist als 1,65 großes, schmächtiges Mädchen die Schläge eines ausgewachsenen Mannes mit ziemlich gut trainierten Oberarmen zu parieren, zählt dann wohl zur harten Realität. Jeder von Nicolas Treffern (und davon gibt es einige) fühlt sich an wie ein milder Stromschlag. Nach unseren Trainingseinheiten stehen mir regelmäßig die Haare zu Berge und mein Schwertarm fühlt sich an, als hätte jemand Blei in die Knochen gegossen. Mittlerweile frage ich mich, ob es sowas wie den Tennisarm auch beim Schwertkampf gibt. Noch ein paar Wochen mit Nicolas und ich find's raus, schätze ich.

„Woher kennst du eigentlich Damons Kampftechniken so genau?", habe ich Nicolas während einer unserer kurzen Atempausen gefragt, „Du kämpfst wie er."

Nicolas hat nur mit den Schultern gezuckt. „Er war mein Lehrer. Der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm."

„Könntest du ihn im Zweikampf besiegen?"

„Constanze oder Mortimer vielleicht. Aber nicht Damon. Nicht allein." Daraufhin hat er mich komisch angeschaut, fast mitleidig. „Du weißt, dass du Mortimer auf dem Schachtfeld gegenüberstehen könntest?"

Ich habe geschluckt. „Ja."

„Und du weißt, dass du gegen ihn kämpfen musst?"

„Hast du damals gegen Eleanor gekämpft?"

Wir waren beide froh, als Nicolas bald darauf die Pause beendete.

Noch schlimmer als die Kraft, die man zum Kämpfen braucht, ist für mich die Sache mit der Koordination. Ich habe schon beim Hip-Hop-Tanzen im Sportunterricht ständig die Seiten verwechselt. Bewegungsabläufe merken ist nicht gerade meine Stärke. Und dummerweise ist Kämpfen zumindest an diesem Punkt ganz genau wie Tanzen. Bis ich kapiert habe, welchen Arm ich jetzt bei Parade XY wieder heben soll, hat Nicolas mich schon in zwei Hälften zerteilt. Bildlich gesprochen, versteht sich.

„Sag mal, bist du eigentlich in irgendeiner Sportart gut?" Ich kann mich noch gut an Nicolas Gesicht erinnern, verschwitzt und verärgert, als er mir die Frage nach einer besonders erfolglosen Trainingsrunde gestellt hat.

„Klassenbeste im Weitsprung", habe ich erwidert, tatsächlich ein bisschen stolz. Zwar bin ich längst nicht die Größte in meiner Klasse, aber irgendwas an meiner Technik oder Sprungkraft lässt mich zuverlässig immer am weitesten fliegen.

Nicolas hat nur geschnaubt. „Weitsprung! Das wird dir gegen Damon sicher viel bringen. Außer ihr beide wollt euer Duell um die Herrschaft über Fabelreich olympisch austragen..."

FabelblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt