Dreifach verraten (3)

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Nach all dem gibt es heute nur noch eine Sache für mich zu tun. Eine Sache, bevor ich endlich ausruhen kann, Seite an Seite mit Mo in seinem Bett, in unserem Kollegium.

Es ist schon Abend als ich den Wald hinter dem grünen Kollegium betrete. Goldenes Sonnenlicht fällt durch die Bäume, flirrend im jungen Frühlingsgrün. Der Boden ist mit trockenem Laub vom Vorjahr und Teppichen blassblauer Glockenblumen bedeckt.

Es dauert nicht lange, bis ich sie finde. Eleanor sitzt auf ihrem Grabstein, die Augen geschlossen und das Gesicht der Sonne zugewandt, in den Händen dampfenden Kaffee in einem Campingbecher. Als ich mich neben sie setze, kann ich den Schriftzug auf dem Stein lesen.

Eleanor Jeanne Murray.

Unruhig ist mein Herz, bis es ruht in Dir.

-Augustinus

„Bisschen makabrerer Ort für ein Kaffeekränzchen, oder?"

Sie öffnet die Augen und wirft mir einen Seitenblick zu. „Besser ich sitze drauf als dass ich drin liege, oder nicht?"

Ich seufze. „Bekommen wir jetzt bis in alle Ewigkeit schlechte Auferstehungswitze zu hören?"

Schmunzelnd nimmt Eleanor noch einen Schluck aus ihrer Tasse. „Meine Witze sind nie schlecht. Schätze, ich sollte dir danken. Das ist ein gutes Grab und auch der Spruch...hätte ich nicht treffender wählen können."

„Schottischer Marmor, falls es dir aufgefallen ist. Frag nicht, was es für ein Akt war den herzuschaffen."

„Wir können ihn ja aufheben. Irgendwann werden wir ihn wieder brauchen, das ist so sicher wie der Tod."

Hmm. Soviel zum Thema Meine Witze sind nie schlecht.

„Es muss schwer für dich gewesen sein", sagt Eleanor, plötzlich ernster, „Ich habe dir viel zugemutet in den letzten Monaten. Das Priorat, mein Tod..."

„Ich verstehe es immer noch nicht richtig", fange ich an, „Du und Margret...ihr habt euch versöhnt?"

„Wir nähern uns an, sagen wir so. Es wird sicher eine Weile dauern, bis wir wieder dahin kommen, wo wir mal waren. Wenn das überhaupt geht." Sie seufzt und fährt sich über die Stirn. „Familien sind kompliziert. Menschen sind kompliziert."

„Warum klingt das bei dir immer so, als würdest du gar nicht dazu gehören?", frage ich. „Wo wir gerade dabei sind. Warum bist du nicht beim Fest"

Roxy und Faustia haben im Refektorium eine Party gestartet. Jeder der halbwegs fit scheint ist dabei, sogar Mo in einem Berg von Decken, mit Flavius der über ihn wacht wie eine Glucke.

„Du weißt warum", murmelt Eleanor.

„Demetra." Ich nicke. „Sie fehlt mir. Ich meine, eigentlich haben wir uns schon lange von ihr verabschiedet, unsere Hoffnungen waren nie groß, aber jetzt ist es so..."

„Endgültig."

Ich schlucke. „Ja." Langsam löse ich die Spange von meinem Umhang. Als ich ihn ablege fühlt es sich an als würde eine schwere Last von meinen Schultern fallen. Entschlossen halte ich das graue Bündel Eleanor hin. „Hier. Ich war nur deine Vertretung, jetzt bist du wieder da. Nimm ihn zurück."

Eleanor beäugt mich skeptisch. „Du weißt, dass du das nicht tun musst? Ich habe dich offiziell zur Nachfolgerin erklärt. Du kannst Priora bleiben, niemand würde dich-"

„Herrgott, Eleanor! Ich bin sechzehn! In einem Jahr will ich Abi machen, Führerschein, normale Sachen eben. Wie soll das gehen, wenn Ich gleichzeitig ein magisches Institut leite?"

„Also falls du Nachhilfe für dein Abitur brauchst dann-"

„-werde ich ganz sicher nicht dich fragen. Das halten unser beider Nerven nicht aus, danke."

Auf einmal tritt ein besorgter Ausdruck in Eleanors Gesicht. Sie nimmt den Umhang von mir entgegen, aber ihre Brauen bleiben zusammengezogen. „Lina. Das gestern Nacht habe ich nicht bloß gesagt, weil Damon da war. Ich habe es wirklich so gemeint: Ich bin stolz auf dich."

„Danke." Ich spüre, wie ich bei ihrem Lob um ein paar Zentimeter wachse, „Aber ich wollte euch nur würdig vertreten. Dich und Demetra."

„Das hast du. Mehr noch. Du warst die beste von uns. Nicolas hat mir erzählt, wie du gegen Damon gekämpft hast. Muss beeindruckend gewesen sein."

Ich senke den Blick. „Damon konnte mich nicht verletzen. Nicht wirklich."

Eleanor nickt, mit geschlossenen Augen, das Gesicht wieder der Sonne zugewandt. „So war der Deal."

„Dass Damon deiner Familie nichts tun kann? Mo und Margret..."

„...und dir."

„Aber", ich schlucke, „wir sind nicht miteinander verwandt."

Eleanor blinzelt, als sie die Augen öffnet und mich ansieht. „Familie ist mehr als nur Blut, Lina. Auch Magie ist eine mächtige Verbindung. Und manchmal bringt sie die richtigen Leute zusammen. Es ist kein Zufall, dass du und ich am gleichen Ort waren, als deine Fabelnacht begann."

„Moment."Ich hebe eine Braue. „Du meinst, ich habe...deine Magie? Geerbt?"

„Wir vermuten schon lange, dass Magie von Mensch zu Mensch übertragen wird. Nicht durch biologische Vererbung. Wobei auch das vorkommen kann, wie bei Margret und Mo. Es ist eher so, dass die Magie selbst aussucht, wer als Nachfolger ihres Trägers passen könnte. Bis jetzt ist es nur eine Theorie, aber es gibt überraschend viele Übereinstimmungen. Wir beide sind keine Ausnahme. Selbst meine Schwester sagt, wir sind uns erschreckend ähnlich. Mit der Zeit konnte ich eins und eins zusammenzählen."

In meinem Magen windet sich auf einmal ein schmerzhafter Knoten. „Hast du mich deswegen zu deiner Erbin erklärt und nicht Mo?"

„Nein."

„Aber warum-"

„Familie ist mehr als Blut und Magie. Mo weiß, wie wichtig er mir ist. Bei dir war ich mir nicht sicher. Ich wollte dir etwas geben, damit du nicht an deinem Platz zweifelst, wenn ich fort bin. Für mich gehörst du zur Familie, Lina. Ob mit oder ohne Magie. Okay?"

„Okay."

Eleanor lächelt. Sie breitet die Arme aus und ich sinke gegen ihre Schulter.

So sitzen wir eine Weile, schweigend, während Eleanor ihren Kaffee schlürft und die Glockenblumen im Wind ihre Köpfe neigen.

„Es wird nicht leicht werden", murmelt Eleanor schließlich, „Selbst mit deiner neuen Schöpfung. Die alte Feindschaft läuft tief durch das Kolleg und die Völker der Fabelwesen. Auch die Benutzung des Tors braucht Regeln, sonst fluten bald Furien und Drachen die Menschenwelt. Heute feiern wir zusammen. Aber Morgen schon warten zähe Verhandlungen auf uns."

Ich gähne, plötzlich müde geworden, wie wenn die letzten Tage mich allmählich einholen. „Klingt genau nachdem, woran du Spaß hast."

Eleanor schnaubt.

„Du bist die Richtige dafür, das weißt du. Und wenn es zu viel wird, hast du ja immer noch uns. Mich und Mo und Nicolas, Roxy und Faustia. Wir halten zusammen, komme, was wolle." Ich drehe den Kopf, schaue ihr in die Augen. „Hell or high water?"

Eleanor seufzt und reckt ihre Kaffeetasse in die Luft. „Hell or high water."

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