Nänie für den Frühling (4)

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„Sie hat keinen Nachfolger benannt." Erics schlanke Finger blättern durch das Testament, fahrig, als suche er einen fehlenden Anhang. „Da steht nur, wer ihre Pflanzen erbt! Was will ich denn mit einem verdammten Kaktus?" 

„Passt zu deinem Charakter", murmele ich und lehne mich in Eleanors Stuhl zurück. Vom hohen Tisch der Alumni aus wirkt das Kapitel ungewohnt groß. Ich behalte die Tür im Auge, meine Finger klopfen dabei unruhig auf die Tischplatte.

Constanze kratzt sich am Hals, wo sich nervöse rote Stressflecken gebildet haben. „Dann müssen wir jetzt neu wählen."

„Nicht so schnell, Constanze."

Die Alumni heben die Köpfe und ich atme innerlich erleichtert aus. Na, endlich.

Eleanor ist im Türrahmen erschienen. Sie trägt wieder einen Umhang, aber nicht mehr den schwarzen der Schatten. Dieser ist grau. Silbrig grau.

Ich kann fast sehen, wie sich die Rädchen in Erics Gehirn drehen. „Was hast du da an?"

Eleanor lächelt grimmig. Sie hebt die Hand und berührt die silberne Nadel auf ihrem Brustbein. Bei Demetra ist sie mir nie aufgefallen, erst als Eleanor sie mir gezeigt hat, habe ich es begriffen. Ein symbolischer Staffelstab.

Mein Lauf ist vollendet, Eleanor. Aber das Rennen nicht. Dein Rennen.

„Es war Demetras letzter Wille", sagt Eleanor. „Kurz bevor sie starb."

Eric ballt die Hand zur Faust. „Du lügst! Wen hast du bestochen? Was hast du gemacht?"

„Du weißt es so gut wie ich", sagt Eleanor, diesmal mit Nachdruck, „dass dieser Umhang nur von der rechtmäßigen Priorin getragen werden kann. Jedem anderen verweigert er sich."

Constanzes Miene ist eingefroren vor Schock, aber Eric schüttelt nach wie vor den Kopf. „Nein...Nein!"

Wäre die Lage nicht so ernst, ich hätte laut losgelacht. Echt.

Eleanor hebt eine Braue. „Respektierst du so Demetras Willen?"

„Respekt? Für dich? Ich beuge mich keiner, die den Schatten befielt!" An seinem Hals pulsiert eine zornige Ader. „Die Wächter werden dich nie akzeptieren!"

„Dann müssen sie mich umbringen!" Eleanors Miene wirkt jetzt genauso wütend. Sie richtet sich zu voller Größe auf und sieht Eric ins Gesicht. „Denn ich werde den Umhang erst wieder freiwillig ablegen, wenn Demetra lebend durch diese Tür kommt! Sie hat mir das Kolleg anvertraut, ob es dir passt oder nicht! Akzeptiere es oder trete zurück!"

Eric klappt den Mund zu. Wahrscheinlich hat noch nie jemand so mit ihm gesprochen.

„Geht doch." Eleanor läuft durch den Raum und lässt sich auf Demetras Platz sinken.

„Also willst du sie am Leben halten?", fragt Constanze leise. „Das Gegengift finden?"

„Natürlich." Eleanors Stimme klingt gereizt.

„Es wäre gnädiger, sie gehen zu lassen." Constanze senkt den Blick. „Auch für ihr Kollegium. Du quälst sie nur, wenn du es hinauszögerst."

„Wie gut, dass nicht du das zu entscheiden hast, Constanze!" Die beiden Frauen funkeln sich über den Tisch hinweg an. „Wir werden Damon jagen. Und dann hole ich mir sein Blut."

Eric schnaubt, sagt aber nichts.

„Was, wenn er uns jagt?", flüstert Constanze.

„Das wird er. Er will das Kolleg, weil er Hecates Tagebuch sucht. Wir müssen es finden, bevor er es tut, rausfinden, was es damit auf sich hat. Das ist eure Aufgabe." Sie sieht nacheinander Constanze und Eric an. „Ich möchte, dass ihr die Portalbücher durchschaut. Alle, von jedem Wächter. Wir brauchen dieses Buch."

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