Spartakus 2.0 (1)

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Es dauert keine Minute, dann bricht im Kolleg die Hölle los. Von allen Seiten höre ich Schreie und die Füße panischer Menschen. Durch das Gemäuer hallt dumpfes Krachen zu uns herauf, als in den unteren Stockwerken die Fensterläden zugeschlagen werden. Irgendwo fällt ein Möbelstück um.

Ich selbst kann mich nicht vom Fleck rühren. Wie festgefroren starre ich auf den geteilten Wald, aus dem jetzt immer neue Geschosse fliegen.

„Lina, weg vom Fenster!" Erst als Eleanor mich gewaltsam zu Boden zieht, kapiere ich, dass ich die ganze Zeit wie ein Trottel in der Schlusslinie gestanden habe.

„Hey!" Hinter der Lehne meines Lieblingssessels taucht Mos Gesicht auf. Er winkt mir zu. „Komm rüber!" Ich will schon aufstehen, aber bevor ich weit gekommen bin, drückt mich Eleanor wieder auf den Teppich. „Unten bleiben, alle beide!"

Am liebsten hätte ich laut geflucht. Ist das ihr Ernst? Auf allen Vieren krieche ich unter dem Fenster vorbei hinter den Sessel, wo Mo schon auf mich wartet. Dabei fühle ich mich wie einer dieser verrückten Survival-Sportler, die sich im Fernsehen durch schlammige Hindernis-Parcours quälen. Die haben allerdings auch Muskeln. Ich sehe wohl eher aus wie eine Robbe auf dem Trockenen.

Eleanor wirft die Fensterläden zu. Sofort wird es stockfinster im Raum. In der Dunkelheit taste ich nach Mo und bekomme seine Hand zu fassen. Seine Finger schließen sich um meine und obwohl ich mir dumm und hilflos vorkomme, beruhigt sich mein Herzschlag. Immerhin muss ich hier nicht allein mit Eleanor sterben.

Zu meiner Rechten zischt ein Streichholz und wie aufs Stichwort erscheint Eleanors Gesicht in der Dunkelheit, beleuchtet von einer Öllampe, deren Lichtkranz ihr unpassenderweise einen Heiligenschein um den Kopf rahmt. Sie kauert sich neben Mo und stellt die Lampe vor unsere Füße. „Alles in Ordnung?"

In Ordnung? Was ist hier bitte in Ordnung? „Ihr habt mir nie gesagt, dass Fabelreich im Krieg ist!", stoße ich hervor.

Eleanor schnaubt. „Wir sind nicht im Krieg. Solche Attacken erleben wir öfter. Mach dir keine Sorgen. Der Schild hält."

„Warum sitzen wir dann im Dunklen auf dem Boden?" Eleanor und Mo wirken wie die Ruhe selbst, aber ich zittere am ganzen Körper.

„Reine Vorsicht", sagt Eleanor, „Es gibt ein Protokoll für solche Fälle."

„Ein Protokoll?" Meine Stimme wird gefährlich hoch. Gleich überschlägt sie sich und das wird hässlich. „Wann wolltet ihr beide mir das alles sagen? Wenn ich im Grab liege?"

„Beruhige dich, Lina."

„Ich bin aber nicht ruhig! Ihr seid das vielleicht gewöhnt, aber sorry, für mich ist es gerade das erste Mal, dass mich jemand umbringen will!"

„Niemand wird dich umbringen."

„Da draußen versucht es gerade jemand! Oder nicht?"

Daraufhin schweigt Eleanor. „Ich weiß es nicht", sagt sie nach einer Weile, „Ich weiß nicht, wie weit sie gehen würden. Ausgerechnet jetzt ist Demetra nicht da."

„Das war geplant", brummt Mo, „Ich sag's euch schon lange. Die beobachten jeden unserer Schritte."

„Wer sind die?"

„Kommt drauf an, wen du fragst." Mo hat meine Hand noch immer nicht losgelassen. Sein Gesicht liegt halb im Schatten. „Fanatiker, sagen die Wächter. Rebellen nennen sie sich selbst. Ihr Anführer heißt Spartakus."

Ein weiteres Geschoss knallt gegen den Schutzschild und lässt die Fensterläden in ihren Angeln beben. Sogar Eleanor zuckt jetzt.

„Spartakus?" Ich runzele die Stirn. „Wie der Anführer der römischen Sklavenaufstände?"

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