Zwischenspiel: Der Erbe der Schatten

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Rom, 9. Februar, Mittag 

„Erhebt euch für Mortimer Blackwell, Sohn des Herrn!"

Wie in einem Thronsaal, gemacht für Götter, denkt Mo, als er die Worte des Herolds hört und sich die Tore zu Damons Audienzhalle öffnen. Vor ihm erstrecken sich, Meter um Meter, Marmor, Purpur und Fresken. Eine hohe Gewölbedecke, römische Säulen, goldene Leuchter und Feuerschalen mit Weihrauch. Die Villa passt zu Damon, mehr noch als seine Kirche. Sie könnte locker mit dem Vatikan konkurrieren.

Constanze wirkt nicht beeindruckt. Vielleicht hat sie den Ort schon zu oft gesehen, vielleicht macht sie sich aber auch einfach nichts aus Kunstgeschichte und Protz. Wie schon den ganzen Weg geht sie schweigend neben ihm, während sie die Halle durchqueren, fast schon beleidigt still. Hat wohl tief in ihrem Innern nicht damit gerechnet, dass er wirklich die Seiten wechseln würde. Ein weiterer Schattenwächter in Damons Reihen könnte einen Machtverlust für sie bedeuten. Immerhin ist er Damons Fleisch und Blut, während sie... was ist? Eine Verräterin? Nun, jeder weiß, wie viel Damon für die übrig hat...

Über ihnen, erhaben auf einem Thron, umgeben von Höflingen und mittelalterlicher Pracht, sitzt Damon. Wie der römische Kaiser höchstpersönlich, oder einer der Borgia-Päpste im Mittelalter. Kurz versucht Mo, sich seinen Vater in diesem roten pelzbesetzten Weihnachtsmann Mantel der früheren Päpste vorzustellen, perfekt mit Zipfelmütze und roten Schuhen, aber das Lachen bleibt ihm im Hals stecken. Damon Blackwell hat eine so dominierende Präsenz, dass man es nicht einmal in der Vorstellung schafft, ihn lächerlich aussehen zu lassen. Sein Vater. Die Vorstellung ist immer noch seltsam.

An Damons Seite auf einem niedrigeren antiken römischen Schemel sitzt Margret. Anders als Damon, geht von ihr in etwa das Charisma einer Kleiderpuppe aus. Sie wirkt so farblos, so unscheinbar, als wäre sie gar nicht wirklich anwesend. Womöglich ist es ja genau das, was Damon so an ihr schätzt. Margret ist die ideale Frau im Hintergrund, ganz anders als Eleanor. Von ihr muss er sicher keine Widerrede erwarten. Schon merkwürdig wie unterschiedlich Geschwister sein können.

Das einzig ungewöhnliche an Margret ist ihre Kleidung und selbst die fällt vermutlich nur Mo auf. Margret trägt ein dunkelgrünes Abendkleid und ein Schultertuch aus Schottenkaro, das sie sich wie eine wärmende Stole um die Arme geschlungen hat. Das Muster darauf ist nicht irgendein industriell gefertigter Karo-Print den man in den Touristenshops Edinburghs an jeder Ecke kaufen kann. Es ist das Tartan der Familie Murray, weitergegeben seit Jahrhunderten. Auch Eleanor hatte so ein Tuch.

Die Erinnerung durchzuckt ihn, plötzlich und unwillkommen. Er selbst, mit zehn, bibbernd vor Angst im Bett, während draußen vor den dicken Mauern Stormglen eines der berüchtigten Sommer-Gewitter tobte. Die Scheiben hatten gezittert, wenn der Donner über die Wiese grollt war und die Blitze hatten durch die geschlossenen Vorhänge geleuchtet. Zu der Zeit war er gerade in seiner griechischen Mythologie Phase und hatte ein Buch nach dem anderen zum Thema verschlungen. Jetzt malte er sich natürlich aus, dass es zornige Götter und Titanen waren, die sich vor seinem Fenster eine Schlacht lieferten, bei der sie Felsbrocken schleuderten und die Unschuldigen zwischen ihnen dabei zerquetschten. Er musste wohl geweint haben, denn irgendwann war Eleanor in sein Zimmer gekommen, barfuß, mit einer Kerze in der Hand und diesem Karotuch über dem Nachthemd. Sie nahm ihn mit ins Wohnzimmer. Zusammen saßen sie auf dem Boden vor den großen Fenstern und schauten dem Regen zu, während sie ihm erklärte wie Blitz und Donner zustande kamen, aus rationaler Sicht. Er weiß heute nicht mehr, was ihn damals mehr beruhigt hat, die wissenschaftliche Erklärung oder einfach, dass Eleanor da war.

„Natürlich", hat sie am Ende ihrer Ausführungen gesagt, „Heißt das alles nicht, dass es nicht trotzdem zornige Götter sein können, die da draußen kämpfen. Es liegen mehr Geheimnisse als Antworten in der Welt."

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