Feuerprobe (2)

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Meine Laune ist im Keller, als ich patschnass und frierend über den Strand zu den Gewächshäusern laufe. Constanze hat mir einen Umhang geliehen, aber trotzdem bibbere ich bei unserer Ankunft im Kollegium der Erde noch immer.

„Sieh es positiv", sagt Constanze, „Du hattest doch ohnehin keine große Liebe zum Meer und zur Luft. Kein Wunder, wenn du zu den Pflanzen gehörst."

Das Kollegium der Erde ist das letzte Kollegium, wozu mein Talent jetzt noch passen könnte. Während wir uns durch die Gewächshäuser, mit ihren eleganten Jugendstilornamenten, Glaskuppeln und Pflanzen schlängeln, versuche ich mir auszumalen, wie mein Leben hier aussehen wird. Das ganze Kollegium erscheint mir wie ein riesiger, verwinkelter Wintergarten. In einem der runden Gewächshäuser gibt es ein gläsernes Kuppeldach über einem Teich mit Seerosen, umgeben von Korbstühlen unter meterhohen Feigen. Orientalische Laternen baumeln zwischen den Zweigen. Eine andere Halle beherbergt neben Moosen und jeder Menge Neuseeland-Farnen einen echten Wasserfall. Auf dem flechtenbedeckten Boden sind ein halbes Dutzend Sitzkissen und kleine Schreibpulte verteilt. Leben in und mit der Natur hat hier wohl noch mal eine ganz andere Bedeutung.

Ich glaube, ich könnte mich mit meinem neuen Kollegium anfreunden. Es ist allemal besser als das von Feuer oder Wasser. Und wenn ich so darüber nachdenke, macht es auch Sinn, dass ich hier her gehöre. Ich hatte schon immer einen grünen Daumen und bis vor kurzem sogar noch einen eigenen Gemüsegarten. Das war natürlich, bevor meine Mutter zurück nach England gezogen ist und wir unser Haus verkaufen mussten. Seitdem leben wir in diesen Hasenkäfig von Mietshaus. Wenn sie diesen blöden Typen nicht kennengelernt hätte, würde ich vor meinem Fenster statt Betonwänden noch Apfelbäume sehen.

Apropos Baum. Als wir die nächste Halle betreten, bleibt mir im wahrsten Sinne des Wortes der Mund offen stehen. Wieder sind wir in einem runden Gewächshaus, dessen Dach sich wie ein gläserner Dom über die Szene spannt. Aber anders als in denen davor, gibt es hier keine Möbel. Nur eine einzige riesige Eiche, die in der Mitte aus dem Boden wächst. Sie ist uralt, voll tiefer Furchen, mit Ästen so dick wie Traktorreifen und tausendfach verästelten Zweigen, die bis unter das gläserne Kuppeldach reichen.

Vor dem mächtigen Stamm geht Demetras zierliche Figur beinahe unter. Wie immer lächelt sie, auch wenn sie beim Anblick meiner blauen Lippen und nassen Klamotten kurz sorgenvoll die Brauen verzeiht. Statt ihres gewöhnlichen silber-grauen Umhangs trägt sie nun einen grünen. In den Händen hält sie einen Blumentopf, aus dem ein paar ziemlich hässliche grüne Blätter baumeln.

Sofort wird mein Atem ruhiger. Meine Schultern lösen sich aus ihrer starren Verkrampfung. Immer wenn ich Demetra sehe, wird mir automatisch ein bisschen leichter ums Herz. Sie strahlt einfach so etwas warmherziges, tröstliches aus, wie eine Tasse heiße Schokolade (schlechtes Wortspiel ich weiß, hätte meine Deutschlehrerin sicher auch gesagt).

Je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer werde ich mir. Eigentlich hätte es gar nicht besser laufen können. Ich bin erst ein paar Minuten hier und schon jetzt fühle ich mich, als würde ich seit Ewigkeiten zum grünen Kollegium. Mit Demetra als Alumna könnte ich mich definitiv anfreunden.

Ganz anders als mit Alumni Eric. Er ist auch wieder mit von der Partie und drückt sich in seinem gelben Umhang bei der Tür herum. Offenbar wollen für die letzte Prüfung alle Alumni anwesend sein.

„Eigentlich steht ja schon fest, dass du zu meinem Kollegium gehörst", sagt Demetra, „aber die Form muss gewahrt werden." Ich nicke, hibbelig vor Aufregung und sie schenkt mir ein Lächeln. „Tritt vor."

Beim Näherkommen erkenne ich, dass die hässlichen Blätter in Demetras Topf in Wahrheit ein und dasselbe sind: Die Zähne einer riesigen Venusfliegenfalle. In einer Hand hält Demetra den Topf, in der anderen einen feinen Pinsel, mit dem sie die Pflanze nun vorsichtig kitzelt. Die Venusfliegenfalle erzittert, als wolle sie niesen. Dann klappt sie auf und offenbart ihre fleischig rote Innenseite.

„Wenn dein Talent mit Erdmagie zu tun hat, wird sie nicht zuschnappen", erklärt mir Demetra.

„Alles klar." Diesmal habe ich deutlich weniger Bedenken, als bei meinen vorangegangenen Prüfungen. Schließlich kenne ich das Ergebnis schon. Ohne Zögern lege ich meine Hand in den Schlund der Pflanze. Nichts passiert. Ich grinse und will mich schon zu Demetra umdrehen als-

„Au!"

Von einem Moment auf den anderen schnappt die Falle zu. Geräuschlos schließen sich ihre Klappen über meiner Hand, die sich jetzt zu meinem Entsetzen als unförmige Beule unter der Pflanzenhaut abzeichnet.

„Mach auf, du Scheißding!", ich reiße an meinem Arm, aber die Pflanze gibt ihn keinen Zentimeter frei. „Mach auf!"

Von hinten eilt Demetra mit ihrem Pinsel herbei. Sie kitzelt die Fanghaare und nach einem unwilligen Zittern klappt die Venusfliegenfalle schließlich wieder auf.

Keuchend stolpere ich zurück und massiere mein gequetschtes Handgelenk. „Was sollte das denn?"

Keiner antwortet. Constanze, Eric und Demetra starren mich an, als sei ich gerade mit einer Axt auf sie losgegangen. In ihren Gesichtern steht Entsetzen und -auch wenn ich mir nicht erklären kann, wo die herkommt-Angst.

Demetras Miene ist wie versteinert. „Das kann nicht sein", flüstert sie. Sie schaut mich an, aber ohne mich richtig zu sehen. „Ihr müsst etwas übersehen haben."

„Ausgeschlossen", sagt Constanze, ebenso leise. „Die Elemente irren sich nicht."

„Es seitdem deine komische Nixe hat sich einen kleinen Spaß erlaubt", meint Eric an sie gewandt, „Ich habe dir ja immer gesagt, Fabelwesen ist mit sowas nicht zu trauen."

„Wie bitte!?", keift Constanze zurück, „Was fällt dir ein, die Metholden meines Kollegiums zu hinterfragen! Jemand, der sein ganzes Vertrauen auf ein kleines Flämmchen-"

„Still!" Noch nie habe ich Demetras Stimme so scharf gehört. Constanze und Eric offenbar auch nicht, denn sie halten sofort den Mund.

Demetra seufzt. „Komm mit, Lina."

Die Alumni folgen uns tuschelnd, als mich Demetra aus dem Gewächshaus und über den Rasen zurück ins Kolleg führt. Wortlos öffnet sie die Tür und schiebt mich vor sich in die Empfangshalle. Dabei ist ihre Miene so ernst, als sei jemand gestorben.

„Kann mir mal einer erklären, was eigentlich los ist?", höre ich mich stammeln, während ich versuche, mit der Priorin Schritt zu halten, die schon den ersten Fuß auf die Treppe gesetzt hat. „Eben war ich schon so gut wie in Ihrem Kollegium und jetzt...Ich verstehe das alles nicht..."

„Ich auch nicht", murmelt Eric hinter meinem Rücken, „wir müssen irgendeinen Fehler gemacht haben."

„So selbstkritisch heute?", sagt eine neue Stimme von oben.

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