Im Haus der Spiegel (2)

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Sie trägt noch immer die gleichen Kleider wie beim Prozess, wenn auch mit einigen Rissen und Löchern mehr. Zwei Schlitze, wahrscheinlich von Klauen, ziehen sich über ihr rechtes Hosenbein und ich erkenne blutige Krusten an den Rändern. Auf ihrer Stirn ist eine dunkle Stelle, die Staub, Dreck oder ein blauer Fleck sein könnte und an ihrer Unterlippe prangt ein schmaler Streifen getrockneten Blutes, dort, wo sie im Kolleg auf den Steinboden gefallen und ihre Lippe aufgeplatzt ist. Nur ihre Augen sind noch immer dieselben, wachsam, mit diesem hungrigen Feuer, das alles und jeden bis in seine Tiefe ausforschen will. Ihre Frisur hat sich aufgelöst und mit den offenen Haaren wirkt sie fast so wild, wie die Furie neben ihr.

„Eleanor." Damons Stimme hallt durch den Raum, betont gelangweilt, aber mit einem Touch Belustigung. „Wie ich höre, hast du endlich aufgehört, meinen Dienern die Gesichter zu zerkratzen. Nicht, dass es bei den meisten einen großen Unterschied gemacht hätte." Damon kichert. Seine Worte wirken so sorglos. So beiläufig abfällig.

„Mir gefällt ihr Gesicht", zischelt die Furie und zieht Eleanor mit einem Ruck in ihre Richtung, der sie zum Stolpern bringt. „Diese Haut. So zart." Sie hebt einen ihrer Finger und offenbart einen rasiermesserscharfen Nagel. „Lasst mich ein Stück davon haben, Herr! Bitte!"

„Nein!", sagt Damon scharf und die Furie weicht zurück. „Mir gefällt ihr Gesicht auch." Sofort wird sein Ton wieder lässig. Beeindruckend wie schnell er umschalten kann. „Du kannst uns alleine lassen, Alekto." Der Furie behagt es sichtlich nicht, ihre weltvolle Gefangene gehen zu lassen, aber sie verbeugt sich trotzdem und schlurft dann in den Gang hinaus, wobei sie ihre Peitsche hin und wieder geräuschvoll gegen die Wände knallen lässt.

Damon achtet nicht darauf. Sein Blick ruht einzig auf der Gefangenen zu seinen Füßen. „Eleanor." Etwas an der Art, mit der er ihren Namen ausspricht, ihn auf der Zunge kostet, genüsslich, wie einen eigens für ihn abgefüllten Wein, lässt mir die Haare im Nacken zu Berge stehen. „Meine süße Eleanor. Meine Persephone. Endlich wieder zuhause."

Sein Ernst? Süße Eleanor? Mir würden ja viele Adjektive für Eleanor Murray einfallen. Süß, wäre sicher das allerletzte.

„Persephone, Alekto..." Eleanors Stimme ist ruhig. Ich kann keine Angst heraushören, nur vielleicht eine etwas zu bemühte Lässigkeit. „Für meinen Geschmack gehst du mittlerweile ziemlich inflationär mit deinen mythologischen Referenzen um. Ein Tick subtiler wäre wirkungsvoller. Sonst besteht noch die Gefahr, dass man dich tatsächlich verstehen könnte."

Ein breites falsches Lächeln zieht sich über Damons Mundwinkel. „Deine scharfe Zunge haben sie dir also nicht nehmen konnte. Wenigstens etwas. Wo du schon in allem anderen das Schoßhündchen des Kollegs geworden bist. Ach, ja, ich vergaß! Das war der Lohn für deinen Verrat, richtig? Alumna Eleanor. Wie fühlt es sich an? Auf meinem Platz sitzen, meinen Umhang tragen, meinen Wein trinken?"

Eleanor zuckt mit den Schultern. „Hab ihn durch Whiskey ersetzt. Deinen Wein, meine ich", sagt sie und obwohl sie die Gefangene ist, wirkt ihre Stimme jetzt fast sorgloser als die von Damon.

Der scheint für den Moment tatsächlich fassungslos. Zum ersten Mal bekommt seine coole Fassade Risse. „Damals habe ich geschworen, dich zu bestrafen. Ich wollte dir alles-"

„Also deswegen bin ich hier?", unterbricht ihn Eleanor. „Das ist dein persönlicher Rachefeldzug? Warum jetzt erst? Warum sechzehn Jahre warten?"

„Nun, es ist nicht leicht, sich aus dem Gefängnis heraus eine Gefolgschaft aufzubauen. Nachdem du mich so erfolgreich gestört hast, musste ich wieder bei null anfangen. Natürlich kann ich überzeugend sein. Aber ein ganzes Gefängnis für sich zu gewinnen, dauert seine Zeit."

Eleanor schnaubt und lässt den Blick durch die Halle wandern. „Offensichtlich hast du es jetzt ja geschafft. Was ist das hier für ein Ort?"

„Das wüsstest du, wenn du mich mal besucht hättest, in all den Jahren. Bevor es Demetra zu meinem Gefängnis bestimmt hat, war es eine Festung. Ein Außenposten des Kollegs, hoch im Norden von Fabelreich, fern jeder Zivilisation. Wir stehen in den Überresten der alten Kirche. Jetzt ist sie mein Empfangsraum."

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