Spreu von Weizen

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„Lina?" Mo starrt mich an. „Sie soll neue Priora werden?"

„Nach Wunsch meiner Schwester, ja", sagt Margret leise und beobachtet ihn genau.

„Das ist doch ein schlechter Scherz?" Auf Mos Stirn entstehen Falten, als er die Augen zusammenkneift. „Wieso macht Eleanor dich zur Priora? Was für Erfahrungen oder Fähigkeiten hast du denn? Du bist seit ein paar Monaten im Kolleg. Deine Ausbildung hat gerade erst angefangen. Wenn sie jemanden aus dem Kollegium wollte, warum dann dich? Ich lebe hier seit sechzehn Jahren!"

„Mo" Ich mache einen Schritt auf ihn zu. „Ich weiß doch auch nicht, was da soll. Natürlich wärst du besser geeignet, du oder Nicolas-"

„Ja! Das wären wir!", ruft Mo und seine Stimme klingt aggressiv. „Was ist eigentlich mit Eleanor los? Erst schaltet sie sich selbst im Kampf mit Damon aus und jetzt das! Die spinnt doch vollkommen!" Dann wird seine Miene plötzlich ausdruckslos, wie wenn ein neuer Gedanke durch seinen Kopf ziehen würde. „Ah, natürlich." Er lacht bitter. „Das ist es, oder? Ich bin Damons Sohn. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Beide Elternteile anfällig für die dunkle Seite... Wer weiß, als was ich mich noch entpuppen werde. Das Risiko mich zum Prior zu machen, geht sie lieber nicht ein."

„Mo..." Ich schüttele nur den Kopf. Seine Worte erschrecken mich, aber gleichzeitig fühle ich den wahren Kern darin. „Das ist-"

„Lass es, Lina. Ich hätte einfach nicht zurückkommen sollen." Damit dreht er sich im und stapft davon. Lässt mich zurück, allein mit Eric, Nicolas und dem grauen Umhang, der mir schwer auf den Schultern liegt.

Eine halbe Stunde später zittere ich noch immer.

Wir sitzen um einen Tisch im Kollegium der Schatten. Das heißt, Eric und ich sitzen. Mo hat sich in seinem Zimmer verschanzt. Nicolas geht auf und ab, dabei schüttelt er den Kopf. „Mo hat Recht, so Leid es mir tut. Was ist in sie gefahren? Was zur Hölle ist in sie gefahren?"

Eric wiegt sein Whiskey Glas in der Hand. „Vermutlich war das Teil des Deals."

„Ist mir auch klar!", faucht Nicolas und unterbricht seine Bewegung kurz, um Eric einen genervten Blick zuzuwerfen. „Zuerst Eleanor ausschalten und sie dann zwingen, das jüngste und unqualifizierteste Mitglied der Wächter zur Priora zu machen. So kann man das Kolleg auch vernichten. Und man muss keinen einzigen Mann dafür opfern! Sieht ganz nach einem Plan von Damon aus. Was ich nicht verstehe ist, wieso sich Eleanor darauf eingelassen hat. Wie konnte sie so blöd sein?"

„Hey!" Die ganze Zeit bin ich still geblieben, habe schuldbewusst (warum eigentlich?) auf die Tischplatte gestarrt, während die beiden Männer über meinen Kopf hinweg geredet haben. Aber jetzt ist es genug. „Du warst in der Schule nicht dabei, Nicolas! Also halte dich mit Urteilen lieber ein bisschen zurück. Willst du Eleanor ernsthaft vorwerfen, dass sie Mo und mich gerettet hat? Vielleicht war ihre Entscheidung für die Wächter nicht die klügste. Ja, okay. Aber sei doch mal ehrlich: würdest du ernsthaft deine Familie für das Kolleg opfern? Für eine Institution, von der du gar nicht weißt, ob es sich überhaupt noch lohnt, sie zu bewahren? Ich sag nur, Geheimnisse, Vorurteile, Unterdrückung und ein Rechtssystem bei dem einem die Haare zu Berge stehen. Woher kommt dein plötzlicher Eifer, das Kolleg zu retten? Du bist ein Rebell!"

Aus dem Augenwinkel stehe ich Eric zustimmend nicken, aber Nicolas funkelt mich nur an. „Ich habe keine Liebe für das Kolleg", sagt er. „Aber im Moment ist es das einzige, was zwischen uns und Damon steht. Wenn die Wächter kein starkes Bündnis mit dem Triumvirat schließen macht Damon uns fertig. Eleanor hat das genauso gesehen."

„Ja. Und wir haben ein Bündnis geschlossen!"

„Falsch! Eleanor hat das. Was glaubst du macht das Triumvirat jetzt, wo sie abgehauen ist? Denkst du Asteria geht mit dir ein Bündnis ein? Einem vierzehnjährigen Mädchen, das sich nicht ausmalen kann, was Krieg bedeutet?"

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