Von der Ordnung der Dinge

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Ich schließe die Augen. Presse die Lider zusammen bis es weh tut.

Ein Raunen wandert durch die Reihen der Wächter.

„Ist das dein scheiß Ernst?" Ich höre Roxy auf den Boden spucken. „Kaum ist Eleanor weg kriegst du Schiss und rennst zu deinem Daddy? Alter, was bist du für einer?"

„Die Ratten verlassen das sinkende Schiff", murmelt Faustia, „Gut, dass Demetra ihn nicht sehen kann."

Bei ihren letzten Worten reiße ich die Augen wieder auf. Kurz bin ich geblendet vom weiß-grauen Himmel, gelbe Punkte tanzen wie Glühwürmchen über das Gras. Dann fällt mein Blick auf Mo. Seine Miene ist vollkommen starr als er an mir vorbei auf Constanze zugeht. Nur an seinem Kiefer zuckt ein Muskel, wie wenn er die Zähne zusammenbeißen würde. „Misch dich nicht ein, Roxy."

„Und ob ich mich-"

„Eure heilige Demetra hat mich mein Leben lang belogen!" Seine Augen blitzen. „Warum sollte ich noch irgendetwas von dem glauben, was sie uns hier erzählt haben? Vielleicht hat Damon Recht und das Kolleg ist gar nicht so nobel und gut wie es vorgibt zu sein. Ihr könnt meinem Vater vorwerfen, was ihr wollt, aber er war immer ehrlich zu mir und was seine Ziele betrifft."

Mein Vater, nicht Blackwell, bemerke ich.

„Ich für meinen Teil will mir zumindest anhören, was er zu sagen hat, bevor ich ihn verurteile."

Wieder geht ein Raunen durch die Menge. Am liebsten wäre ich hier und jetzt in Tränen ausgebrochen. Oder davongerannt. Zurück in unseren Hasenkistenwohnung, in mein Zimmer oder aufs Sofa zu Papa und Mareike wie nach Demetras Beinahe-Tod. Aber ich kann nicht.

Ich weiß, dass mich alle anschauen. Dass ich etwas sagen muss. Als Priorin.

Sie alle wissen, wie nahe Mo und ich uns standen. Wenn ich jetzt nicht Stärke zeige, wenn ich zusammenbreche, ist mein Schickal in diesem Amt besiegelt. Wenn ich das Kolleg anführen will, muss ich zeigen, dass ich Stress aushalte, Schmerz und Schock. Sogar den Verrat des einen Menschen, von dem ich dachte, dass er mich vielleicht auch lieben könnte. Mehr zumindest, als seinen Vater.

Also hebe ich den Kopf und sehe Mo in die Augen, auch wenn mir dabei ein Schauer nach dem anderen über den Rücken läuft. „Wenn du jetzt gehst, kannst du nicht mehr zurück."

Mo erwidert meinen Blick. Verdammt, er ist so viel besser darin. „Hast du über mein Angebot nachgedacht?"

„Meine Antwort ist die gleiche wie gestern Nacht: Nein."

„Ich werde mich bei meinem Vater für dich einsetzen. Aber wenn du weiterhin Priora bleibst-"

„Es gibt sinnlosere Dinge, für die man sein Leben riskieren kann, als deinem Vater entgegenzutreten", sagte ich. „Ich hoffe, du lernst eine andere Seite an ihm kennen, wenn es sie gibt. Wirklich, ich wünsche es dir. Von ganzem Herzen. Aber ich habe Damon Blackwell als rücksichtlosen Narzissten kennenglernt, der für sein Ego über Leichen geht. Ich werde nicht zulassen, dass er mit Fabelreich das gleiche tut. Dieses Land und seine Bewohner sind kein Spielball für die Launen eines Mannes. Und ich auch nicht." Meine letzten Worte sind direkt an Mo gerichtet. Unsere Blicke begegnen sich und ich versuche alles in meinen zu legen, tausend Worte, die ich nicht sagen kann, mit Constanze neben ihm und dem Kolleg in meinem Rücken. Dann reiße ich mich los. Bevor ich in Tränen ausbreche. Wenn ich ihn loslassen will, muss es schnell passieren, sonst habe ich nicht mehr die Kraft dazu.

„Wir wollen Eleanors Leiche." Mit grimmiger Zufriedenheit sehe ich die Überraschung auf Constanzes Gesicht. „Sag das deinem Herrn."

„Eleanor ist in England", entgegnet Constanze, mit einem raschen Seitenblick auf Mo. „Im selbst gewählten Exil."

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