Tiefere Magie (3)

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Zuhause angekommen, will ich sofort auf mein Zimmer verschwinden. Am liebsten würde ich mich wie früher in meinem Bett verkriechen und die Decke über den Kopf ziehen, bis ich mich wie ein Braunbär in seiner Höhle fühle. So könnte ich dann gemütlich, abgeschirmt von der Welt, den Winter verschlafen. Oder am besten gleich den Rest meines Lebens. Keine so schlechte Aussicht eigentlich, wenn man genug spannender Bücher hat. Früher habe ich nichts lieber getan, als mich bei dem kleinsten Anzeichen von Problemen in fantastischen Paralleluniversen zu verlieren. Egal ob Familiendrama, Zickereien oder schlechte Noten. Die richtige Dosis Magie hat alles gleich weniger schlimm gemacht. Dass Magie selbst mal die Quelle meiner Probleme sein könnte, hätte ich damals noch nicht einmal zu denken gewagt. Und auch wenn ich von Paralleluniversen eigentlich gerade die Schnauze voll hab, brauche ich heute wahrscheinlich genau das.

Daraus wird nur leider nichts.

Ich will mich gerade durch den Flur stehlen, als mich eine Stimme aus der Küche zusammenzucken lässt. „Da bist du ja endlich!"

Ich schiebe den Kopf durch die Tür. Mein Vater und Glasschneidestimme sitzen um den Küchentisch, vor sich eine Schüssel mit Gebäck und zwei dampfende Kaffeetassen.

„Gerade noch pünktlich. Wir dachten schon, du versetzt uns", sagt mein Vater.

Shit. Jetzt fällt es mir auch wieder ein. Wir hatten ja eine Verabredung. Vor lauter Mo und Fabelreich habe ich die komplett vergessen.

Zum Glück habe ich in meiner Zeit beim Schultheater ein gewisses Improvisationstalent entwickelt. Ich setze mein schönstes künstliches Lächeln auf und schäle mich aus der Winterjacke. „Just in time, würde ich sagen."

Als ich mich auf meinen Stuhl fallen lassen, schenkt mir mein Vater Kaffee ein und Glasschneidestimme hält mir strahlend die Plätzchendose unter die Nase. Vorsichtig schiele ich über den Rand.

„Zimtschnecken", erklärt sie stolz, „Selbstgebacken."

Beim Anblick der fetten braunen Buns schlingt sich in meinem Magen ein schmerzhafter Knoten. Warum Zimtschnecken? Von allen Dingen, die sie hätte backen können, ausgerechnet die?

„Vielleicht kommt dein Freund nochmal vorbei?", sagt Glasschneidestimme, „Er hat erwähnt, dass er Zimtschnecken am liebsten mag."

„Seine Mutter backt die immer", murmele ich und irgendwie schaffe ich es, dass mir meine eigenen Worte wehtun. Anstandshalber probieren ich eine Schnecke. Sie sind gut, Glasschneidestimme hat einfach Talent beim Backen, das muss man ihr lassen, aber trotzdem kein Vergleich zu Eleanors.

„Haben sich seine Familienprobleme geklärt?", fragt mein Vater.

„Ähm" Ich schlucke und huste ein wenig, weil mir das trockene Zimtschneckenstück auf halben Weg im Hals stecken geblieben ist. „Wir suchen gerade gemeinsam nach einer...Lösung."

Mein Vater nickt zufrieden und trinkt noch einen tiefen Schluck auf seiner Kaffeetasse. Dann kramt er unter dem Tisch herum. Beim Gedanken an den Brettspiel- und heile-Familie- Nachmittag, der mir jetzt bevorsteht, seufze ich innerlich, aber statt Mensch-ärgere dich nicht zieht mein Vater nur einen kleinen silbernen Gegenstand hervor und legt ihn vor mich auf den Tisch. Es ist ein Schlüssel. Eine rote Samtschleife ist wie ein Anhänger darum gebunden.

Ich schaue zuerst meinen Vater, dann Glasschneidestimme an. Mein Blick muss ziemlich verdattert aussehen. „Ist das...?"

„Dein Weihnachtsgeschenk?" Mein Vater grinst. „Ja."

„Okay..." Ein Schlüssel? Wofür soll der denn sein? Mein Vater ist sicher niemand, der seinem Kind zu Weihnachten ein Auto schenkt. Mal ganz davon abgesehen, dass ich noch keinen Führerschein hab. Also was soll das?

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