Zwischenspiel: Das Haus der Schatten

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8. Februar, Morgen

Eleanors Blut ist noch warm, als Margret die Via Umbrae erreicht.

Ihre Finger schließen sich um die verstecke Viole in ihrer Manteltasche, so fest, dass sie ihren eigenen Puls spüren kann. Sie zieht die Kapuze tiefer in ihr Gesicht, während sie durch die dunklen Gasse eilt, ihr schwarzer Umhang bauscht über das Kopfsteinpflaster. Hoch über den Dächern Roms färbt sich der Himmel rosa. Rings um sie herum klappern die ersten Fensterläden, aber die Straßen darunter sind noch in Dunkelheit gehüllt.

Vor ihr schält sich die herrschaftliche Fassade der Villa Umbrae aus dem Nebel. Rot, wie die Farben der Kardinäle, mit weißem Marmor und römischen Säulen. Einst war der Palazzo Wohnsitz einer römischen Patrizierfamilie und trug deren Namen. Aber nach der Schenkung ihrer reichen Gönner hatte Damon Haus samt Straße umbenannt.

Villa Umbrae, Haus der Schatten. Ein angemessener Ersatz für ihre zerstörte Festung.

Vor den Wächtern am Tor hob sie kurz ihre Kapuze und enthüllte ihr Gesicht. Die beiden ließen sie umstandslos passieren, mit gesenktem Blick. Niemand hier sieht ihr je in die Augen. Die Angst vor Ihr und ihrem mächtigen Ehemann ist im ganzen Haus zu spüren, tränkt jedes Zimmer, selbst die verborgensten Winkel.

Sie war Damons Eigentum, seine Lady, jedes längere Gespräch, jedes sorglose Lachen konnte als Provokation gedeutet werden. Die Bleiche Herrin, nannten sie die Bediensteten des Hauses hinter vorgehaltener Hand und auch wenn es klang wie der Name eines Geists war Margret der Titel ganz recht. Schließlich stimmte es. Sie war ein Geist in diesen Mauern, die Unsichtbare im Hintergrund.

Margret durchquert das Atrium mit seinem Wasserbecken und den großen Lüstern aus Kristall, die von der Decke hängen. Feiner Rauch kringelt sich aus einer Schale an der Tür, erfüllt den Raum mit süßlichem Duft. Nach der frischen, klaren Luft der Highlands schnürt er Margrets Kehle zu.

An der Tür zur Halle hält sie inne, holt Atem. Dann stößt sie die Flügeltür mit beiden Händen auf. Der Herold dahinter zuckt zusammen, als sie an seine Seite tritt, rasch, mit wehendem, schwarzen Umhang, wie ein Schwall Winternacht. Aber er fängt sich rasch. Dreimal schlägt sein Stab auf den Marmorboden und die Gespräche in der Halle verstummen. „Macht Platz für Lady Margret!"

Es klingt schon eindrucksvoll. Fast vergisst Margret, dass der Titel so leer ist wie alles in ihrem Leben. Sie ist Lady, weil Damon Lord ist, weiter nichts. Seine Macht lässt die Umstehenden verstummen, besorgt ihr Diener und Zofen.

Nur heute ist es auch noch etwas anderes, dass seine Anhänger an die Wände zurückweichen lässt, all die Wächter, Fabelwesen und machthungrigen Menschen, die sich extra hier versammelt haben. Nur heute ist es wirklich Margret, vor der sie Angst haben, während sie zwischen ihnen hindurchschreitet, ganz in schwarz gekleidet, wie die Todesbotin, die sie ist.

An einer Tafel auf der Stirnseite der Halle thront Damon, umgeben von seinen Getreuen. Constanze sitzt zu seiner linken, seine rechte Seite, der Ehrenplatz, ihr Platz, ist leer.

Er hat getrunken. Sie alle haben das, die Party läuft seit gestern Abend. Manche können schon nicht mehr stehen, liegen auf großen Kissen entlang der Wände. Stundenlange Ekstase, ganz in alter römischer Tradition. Während sie noch die zitternden Hände ihrer Schwester gehalten und ihr beim Sterben geholfen hat, war Damon schon am Feiern. Und jetzt, bei Morgengrauen, kommt sie, sein schwarzer Engel und bringt die frohe Botschaft. Das Highlight der Party. Die erlösenden Worte, auf die sie alle hier warten, mit angehaltenem Atmen.

Margret bleibt vor der hohen Tafel stehen. Dann zieht sie die Hand aus dem Mantel, hebt die Viole hoch ins Licht, bis zum Rand gefüllt mit dunkelrotem Blut. „Eleanor Murray ist tot!"

Niemand spricht. Ihre Stimme verhallt an den Marmorwänden, aber Damon winkt sie zu sich heran, streckt den Arm aus. Kurz berühren sich ihre Hände, als sie ihm das Glasröhrchen mit dem Blut ihrer Schwester überreicht. Sie schaudert.

Er wiegt die Viole zwischen seinen Fingern und lächelt. „Schon als sich das Tattoo verändert hat, wusste ich, dass du dein Wort gehalten hast. Ich bin stolz auf dich, Geliebte. Wie ist sie gestorben?"

„Weinend und flehend."

Damons Lächeln wird breiter. „Doch nicht ganz so taff, wenn es drauf ankommt, hm?" Er steckt die Viole in seine Tasche, hebt die Stimme. „Meine Freunde! Die Verräterin ist tot!"

Es ist, als hätte seine Stimme die Erlaubnis gegeben. Die Versammelten brechen in Jubel aus, Furien kreischen und Menschen klatschen.

„Mehr Wein!", lacht Damon, „Wo ist mein Wein?"

Das ist ihr Stichwort. Rasch wendet sich Margret zu einem Diener am Rand und nimmt ihm einen Weinkelch ab. Noch immer jubelt der Saal, so achtet niemand auf sie, als sie der Versammlung den Rücken kehrt und ein kleines Fläschchen mit klarer Flüssigkeit hervorzieht. Es hat Ewigkeiten gedauert, bis sie an die Spezialität der Elfen gekommen ist. Jetzt hat sie nur einen Versuch. In einer schnellen Bewegung gießt sie den Inhalt in den Kelch.

Als sie sich wieder Damon zuwendet lächelt sie. „Auf dich! Du hast gesiegt. Mein Her, mein Geliebter. Möge es so all unseren Feinden ergehen!"

Sie lässt ihn nicht aus den Augen, nimmt einen großen Schluck Wein. Sie her, ich trinke auch, er ist nicht vergiftet. Margret lächelt noch immer, während sie ihm den Becher reicht.

An jedem anderen Tag hätte es nicht geklappt. Damon hat Vorkoster und Neutralisatoren für die meisten Gifte. Aber technisch gesehen ist das Elixier kein Gift und außerdem ist er heute in Feierlaune. Sie hat ihm gerade ihre absolute Loyalität bewiesen. Jetzt daran zu zweifeln wäre eine Beleidigung.

Also nimmt Damon ihr das Glas ab und trinkt. „Komm an meine Seite, Liebste. Lass uns feiern. Vielleicht sollten wir das Totenmahl für unsere liebe Eleanor halten, nach römischer Tradition. Der Koch soll seinen besten Fisch bringen lassen. Was hältst du davon?"

Margret lächelt nur und setzt sich. Jedes falsche Wort, jede Lüge, könnte sie verraten. Je eher sie auf ihr Zimmer verschwindet, desto besser. Aber vorher braucht sie Gewissheit.

„Es stimmt doch, was du mir immer gesagt hast?", fragt sie ihren Mann leise. „Eleanors Pakt war umsonst? Du hättest unserem Sohn auch so nie etwas getan? Selbst wenn er dir nicht dienen will, wirst du-"

„Hat Eleanor dir wieder irgendwelche Schauermärchen in den Kopf gesetzt? Von wegen, ich würde meinen Sohn als Konkurrenz sehen? O, Margret." Damon nimmt ihre Hand und schaut ihr in die Augen. „Ich habe es dir doch schon mal erklärt. Früher dachte ich, Demetra will aus ihm eine Waffe gegen uns machen. Dass ich eines Tages gegen ihn kämpfen muss, um uns beide zu schützen. Aber jetzt wo ich ihn gesehen habe...meinen Sohn. Ich schwöre dir: Ich werde Mortimer niemals Leid zufügen."

Margret bringt gerade noch ein gequältes Lächeln zustande. „Entschuldige...lange Nacht...müde", stößt sie hervor, bevor sie aufsteht und im Laufschritt, fast rennend aus der Halle eilt.

Erst als sich die Flügeltür hinter ihr geschlossen hat, atmet sie keuchend aus. Mit dem Rücken zur Tür sinkt sie auf den Marmorboden, krümmt sich, während Wellen von glühendem Schmerz durch ihren Rippen wandern und die Wahrheit ihren Körper in Flammen setzt.

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