Epilog (Neu!)

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Juni, ein Jahr später.

„Ich sehe aus wie ein Knallbonbon!"

Genauer gesagt, ein babyblaues Knallbonbon. Ich drehe mich ein wenig, sodass ich das Kleid von der Seite betrachten kann. Ein babyblaues Knallbonbon mit Armen und Beinen, so werde ich vor der ganzen Schule mein Zeugnis entgegennehmen. Zugegeben, nicht gerade der Abgang meiner Träume.

Mareikes Gesicht taucht über meiner Schulter im Spiegel auf. Sie runzelt die Stirn. „So schlimm ist es auch wieder nicht. Das ist doch jetzt im Trend."

Am liebsten hätte ich laut geseufzt. „Wiedermal ein Beweis, dass nur weil was im Trend ist, es einem nicht unbedingt stehen muss."

„Naja, die Farbe..." Maraike verzieht die Brauen. „Warum hast du es denn überhaupt gekauft, wenn es dir nicht gefällt?"

„Es war reduziert. Aber nur in blau." Auf einmal habe ich das Bedürfnis mich zu rechtfertigen. „Weißt du wie teuer so ein Abiballkleid ist? Das hängt jetzt schon seit einem Jahr im Schrank, damals fand ich das cool. Oder hab's mir zumindest eingeredet. Außerdem hatte ich da noch keine Ahnung, dass ich vor der ganzen Stufe eine Rede halten soll!"

„Selbst schuld, kleine Streberin." Ich drehe mich um, gerade als Mo durch die Tür kommt. Er trägt einen schwarzen Anzug, der ihm natürlich mal wieder verboten gut steht und sein übliches schiefes Grinsen.

Mareike wirft mir einen vielsagenden Blick zu, ein Schmunzeln kräuselt ihre Lippen. „Dann gehe ich mal schauen, wie dein Vater mit seiner Krawatte zurecht kommt", sagt sie, bevor sie sich an Mo vorbei aus dem Zimmer schiebt.

Mos Augen wandern mein Bonbon-Kleid entlang und ich werfe ihm einen warnenden Blick zu: „Sag einfach nichts."

Er grinst nur noch ein wenig weiter. „Das ist also das berühmte Bonbon-Kleid mit dem du uns seit Wochen in den Ohren liegst." Mo legt den Kopf schief. „Der Schnitt erinnert mich an irgendwas. Badehandtuch? Bettlaken?"

Ich bin kurz davor, ihm mein Kissen an den Kopf zu werfen, aber da ist er schon hinter mich getreten und hat mir die Arme um die Taille gelegt. Zuerst mache ich noch ein paar halbherzig beleidigte Versuche, ihn abzuschütteln, aber dann lasse ich mich an ihn ziehen. Seine Locken kitzeln in meinem Ohr, als er sich zu mir beugt. „Natürlich siehst du auch in einem Badehandtuch noch umwerfend aus."

„Lügner!" Ich boxe ihm den Ellenbogen in die Seite. „Pass auf, dass du nicht auf deiner eigenen Schleimspur ausrutscht."

Mo lacht leise. Dann hebt er mein Kinn und küsst mich. Für einen Moment vergesse ich mein Kleid, den Abiball und meine Rede. Wen kümmert schon ein Bonbonkleid, wenn Mo neben mir läuft? Die werden eh alle ihn anstarren und ich kann's ihnen nicht verdenken.

Sachte löst er sich von mir und wirft einen Blick auf meinen Wecker am Schreibtisch. „Hoffe, Eleanor schafft es rechtzeitig. Sie musste noch was erledigen."

Ich nicke, auch wenn mich der Gedanke, dass sie vielleicht gar nicht mehr auftaucht meiner Stimmung einen Dämpfer verpasst. In den letzten Monaten, seit ich für das Abi lernen musste, habe ich sie kaum zu Gesicht bekommen. Zweimal in der Woche treffen wir uns im Kollegium zum Abendessen, Margret, Nicolas, Mo, Eleanor und ich, aber mal davon abgesehen laufen wir uns kaum über den Weg. Eleanor hat alle Hände voll zu tun, das neue Portal zwischen den Welten zu managen. In der wenigen Freizeit, die sie hat, besucht sie ihre Schwester in London, die inzwischen mit ihrem Vater im Unicorn arbeitet. Dass da mein Abiball nicht ganz oben auf der Prioritätenliste steht, kann ich mir denken. „Sie muss sich wegen mir echt nicht abhetzten. Als Priorin hat sie viel zu tun. Ich verstehe das."

„Und gerade deswegen würde ich mir das hier nie nehmen lassen", sagt eine Stimme hinter uns.

Mo schaut auf und ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Ich folge seinem Blick zur Zimmertür. Eleanor ist im Rahmen erschienen. „Der Gedanke an das Gesicht deiner Deutschlehrerin, wenn du die Rede für das beste Deutsch-Abi hältst, war allein schon Motivation genug. Hier." Sie macht einen Schritt auf uns zu und reicht mir eine mittelgroße Box. Das Logo kommt mir bekannt vor. Arachnes Schneiderei aus der Siedlung. In mir regt sich leise Hoffnung. „Sag bloß, sie hat die Matschflecken aus meinem Kleid vom Winterball wieder rausbekommen?"

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