Geschwisterliebe (2)

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Den ganzen Weg lang lässt Eleanor meine Hand nicht los. Alektos Versuch, uns zu fesseln hat sie mit einem weiteren Fauchen verhindert und die Furie, offenbar bedacht darauf, beide Augen zu behalten, hat schließlich eingelenkt.

Keinen der Gänge, durch die wir laufen, erkenne ich wieder. Was nicht verwunderlich ist, schließlich habe ich den Weg das letzte Mal bewusstlos zurückgelegt. Auch in diesem Teil der Festung gibt es dutzende und aber dutzende von Spiegeln. Im Vorbeigehen erhasche ich einen kurzen Blick auf mich selbst, einem zerzausten orangenen Busch auf dem Kopf, aufgeplustert von der salzigen Luft und Tagen ohne Bürste.

„Eleanor? Warum die Spiegel?"

„Ist das nicht offensichtlich?", flüstert sie, so leise, dass Alekto nichts mitbekommt. Ihre Miene wirkt wie versteinert und ich weiß, dass sie ihre Maske aufgesetzt hat, zu ihrem Schutz und zu meinem. „Der Narzisst liebt nichts so sehr wie sein eigenes Bild."

Die Furie führt und durch einen Torbogen. Ich erkenne sofort wieder wo wir sind. Am  Haupteingang zur Damons Thronsaal. Die Halle sieht noch genauso aus wie am Vorabend. Obwohl es Tag ist, brennen blaue Fackeln in den Wandhalterungen. Selbst die Sonne kann die Dunkelheit hier nicht vertreiben und ich frage mich, ob es an einem Ort wie diesem überhaupt jemals richtig hell wird.

Meine Augen wandern hinauf, zum schwarzen Thron aus Marmor. Damon fläzt darin, wie ein Römer zum Bankett. Aber er ist es nicht, der meine Aufmerksamkeit fesselt.

Hinter ihm, die schlanke weiße Hand auf die Rückenlehne des Throns gelegt, steht eine Frau. Oder zumindest denke ich, dass es eine ist. Bei ihrer Erscheinung könnte es auch ein Geist sein. Sie ist spindeldürr. Ihr schwarzes Kleid hängt ohne erkennbare Körperform an ihr herunter. Ihre Haare sind hell, fast weiß, ihre Haut kränklich blass. Alles an ihr wirkt ausgewaschen und farblos, wie jemand, der zu lange Zeit im Schatten verbracht hat.  

Das einzig markante an ihrem Gesicht sind die dunklen Augenbrauen. Sie beobachtet uns, als wir von Alekto vor die Stufen des Throns geführt werden, aber mich würdigt sie dabei keines Blickes. Ihre Augen ruhen allein auf Eleanor. Und sie ist es auch, die sie anspricht, mit leiser, mädchenhafter Stimme:

„Hallo, Schwester."

Ich starre Eleanor an.

Ihr versteinertes Gesicht zeigt keine Regung. „Margret."

„Früher hast du mich mal Maggie genannt", flüstert die Frau. „Aber ich schätze, diese Zeiten sind vorbei."

Mein Blick wandert von Margaret zu Eleanor. Habe ich das gerade richtig verstanden? Das ist Eleanors Schwester? Dieses Mädchen?

„Bist du hier, um mich endlich sterben zu sehen?", fragt Eleanor. „Danach hast du dich sicher lange gesehnt."

„Ja." Margarets Stimme ist nur ein Hauch. „Das muss ich zugeben."

„Genug!" Damon schlägt die Faust auf seine Armelehne und die Frau, die Eleanors Schwester sein soll, zuckt zusammen. „Schluss mit dem Gefasel! Ich hab dir schon mal gesagt, du stirbst nicht, Eleanor. Die Familie muss zusammenhalten. Wir brauchen dich. Ich habe große Pläne für unser Kollegium. Und wie ich sehe, sind wir noch weiter gewachsen." Seine dunklen Augen suchen meine. Er lächelt. „Du musst Lina sein. Meine Späher haben mir schon von dir berichtet. Ein durchschnittlicher Geist, aber ein großes magisches Talent. Die nächsten Jahre werden zeigen, was in dir steckt."

Ich habe keine Ahnung, wie ich auf diese Mischung aus Kompliment und Beleidigung reagieren soll.

„Lass Lina gehen!", sagt Eleanor und ich spüre, wie sie meine Hand fester umklammert. Es tut schon fast weh. „Sie hat damit nichts zu tun."

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