Wo Schatten, da auch Licht (3)

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Der Gestank von schmorendem Plastik steckt mir noch in der Nase, als ich die Tür zum Kollegium der Schatten aufreiße. Auch Minuten nach dem Ausbruch bin ich vollgeladen mit Energie. Sogar das Portalbuch in meinen Händen hat zu schwelen begonnen, als ich durch den Strudel gereist bin. Zwar ist das Feuer mittlerweile gelöscht, aber das Buch raucht noch immer. Mit Sicherheit gibt das Ärger.

In meinen Ohren hat sich ein leises Klingeln festgesetzt. Erst jetzt, wo der Schock langsam abebbt, begreife ich, was ich gerade getan habe.

Als über die Schwelle von Eleanors Zimmer stolpere, bin ich so außer Atem, dass ich mich am Türrahmen festhalten muss.

„Das ging aber schnell." Eleanor macht sich nicht die Mühe aufzuschauen. Sie sitzt nach wie vor am Schreibtisch, als wäre ich gerade erst aus dem Raum gestürmt, den Kopf über einen Stapel Papiere gesenkt. „Wen hast du umgebracht?"

„Umgebracht?" Mein überfordertes Hirn braucht einem Moment, bis es ihre Worte verarbeitet. „Ich-Meinen Laptop."

„Hm." Eleanor legt den Kopf schief und blättert beiläufig eine Seite um. „Hätte schlimmer kommen können." Sie schnüffelt und verzieht das Gesicht. Erst jetzt scheint sie das verkohlte Buch zu bemerken. „Demetra wird nicht begeistert sein."

Für einen Moment bin ich fassungslos. Ich starre sie an, warte auf irgendeine Reaktion. „Ist das alles, was dir einfällt?"

„Auch wenn es ein Schock für dein Ego ist: ich habe schon dramatischeres gesehen, als ein trotziges Mädchen, das zum ersten Mal im Leben mit der Realität konfrontiert wird."

„Du!" Tränen steigen mir in die Augen. „Du bist ein Monster!"

Endlich schaut Eleanor zu mir auf. Ich weine und sie muss es auch sehen, aber ihr Blick ist härter denn je. „Ja", sagt sie leise, „Das bin ich."

Ohne weitere Worte stürme ich aus dem Raum. Ich kann einfach nicht mehr. Die Tränen fließen mit jetzt aus den Augen, ich mache mir keine Mühe, sie zurückzuhalten. Wo ich hingehe, wo ich überhaupt hingehen soll, weiß ich nicht. Blind stolpere ich die Treppe hinunter, biege um die Ecke und-

„Lina!" Zwei kräftige Hände packen mich an den Armen und verhindern gerade noch so, dass ich falle. „Was-"

In meinem Delirium wäre ich fast mit Demetra zusammengestoßen. Durch verschmierte Augen schaue ich zu ihr auf. „Ich kann das nicht." Neue Tränen laufen in schneller Folge über meine Wangen. „Bitte lassen Sie mich einfach wieder gehen."

Ich spüre, wie sie mir die Hand auf die Schulter legt und durch den Gang in ihr Studierzimmer führt. Sachte, aber bestimmt drückt sie mich in einen der Sessel. „So." Sie nimmt meine Hände in ihre. „Was ist passiert?"

Und dann erzähle ich es ihr. Ich habe keine Ahnung, wie sie aus dem schluchzenden Gestammel irgendetwas sinnvolles heraushören kann, aber offensichtlich tut sie es. Als ich fertig bin, sagt sie eine ganze Weile nichts. Stattdessen steht sie auf, setzt sich auf die Sessellehne und nimmt mich wortlos in die Arme.

Im ersten Moment erschrecke ich. Gänsehaut jagt über meinen Rücken. Mich hat lange niemand mehr in die Arme genommen, so viel Nähe bin ich nicht gewohnt. Sofort fahren meine Abwehrschilde hoch und mein Körper verkrampft sich.

„Es ist okay", murmelt Demetra und streicht mir über die Schulter, „Nichts davon ist deine Schuld."

Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass ich genau das gebraucht habe. Dass ich mich danach gesehnt habe. Nach einem Menschen, der einfach da ist.

Die Erkenntnis hinterlässt einen hohlen Schmerz in meinem Magen. Als würde ich jetzt erst merken, dass ich seit Tagen am Verhungern bin.

Allmählich beginne ich mich zu entspannen. Die Stirn gegen Demetras Schulter gelehnt weine ich, bis ich keine Tränen mehr habe. Irgendwann lässt sie mich los und zieht ein Taschentuch aus ihrem Ärmel.

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