Die Eirenen (3)

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Ich kann das Tal der Erstgeborenen riechen, lange, bevor ich es sehe.

Die Luft im Tal ist feucht und schwül, schwer von der Würze regennasser Kräuter. Es ist ein schwer zu beschreibender Duft, erdig und grün wie ein Hochsommerabend. Es erinnert mich an Demetra und das Messer in meinem Magen schraubt sich tiefer, bis mir fast schlecht wird.

Gut, könnte auch an meiner Aufregung liegen. Gefühlte Stunden habe ich vor dem Spiegel meine Rede geübt, trotzdem wird mir allein bei dem Gedanken vor dem Triumvirat sprechen zu müssen übel. Bei meiner Rede vor dem Kolleg waren es Wut und Trauer, die meine Angst unterdrückt und meine Worte befeuert haben. Jetzt werde ich mich nicht mehr allein darauf verlassen können.

„Wie konnte das alles hier eigentlich entstehen?", frage ich Nicolas, als wir um eine Kurve biegen und der Wald sich auf einmal öffnet. Vor uns liegt das Tal der Rebellen, die mediterrane Stad aus weißem Stein, umgeben von Oliven, Zypressen und Pinienwäldern. „Eine italienische Stadt mitten in einem magischen Land, das eigentlich mal zu Schottland gehört hat?" Noch tauchen die letzten Strahlen der Abendsonne das Tal in orangenes Licht, aber von den Lorbeerwäldern hoch oben auf den Berghöhen zieht langsam der Nebel herab.

„Der geteilte Wald hat seine eigene Magie", sagt Nicolas. Er trägt seinen Schattenmantel und hat mich und die anderen Alumni auf den letzten Metern ins Tal geführt. „Wen er für würdig hält, dem erfüllt er Wünsche. Meistens nur den Ältesten und Weisesten. Den Herrschern. Asteria hat das Tal geschaffen. Näher kommt sie ihrer alten Heimat nicht."

„Warum ist sie nie zurückgekehrt, wenn sie solche Sehnsucht danach hat? Ihr hattet doch Portalbücher. Ein paar Fabelwesen konntet ihr rausbringen. Sie hätte als erstes gehen können."

„Und ihr Volk im Exil zurücklassen? Glaubst du ich hätte Asteria jahrelang gedient, wenn sie diese Art von Herrscherin gewesen wäre?"

„Sie ist wie Eleanor", murmele ich und werfe Nicolas einen Seitenblick zu. „Älter vielleicht und sicher auch ein ganzes Stück ruhiger. Dafür redet sie aber noch rätselhafter. Gib's zu. Asteria hat dich an sie erinnert. Deswegen hast du dich den Rebellen angeschlossen."

„Nicht nur deswegen." Nicolas legt den Kopf schief. „Aber da ist schon was dran. Asteria und Eleanor in Kombination...sie hätten wirklich etwas verändern können. Und jetzt..."

Er beendet seinen Satz nicht, wahrscheinlich, weil er selbst bemerkt hat, auf was es hinauslaufen würde. Ich verstehe es trotzdem.

Jetzt ist die Chance vertan. Ich schlucke. Jetzt bin nur noch ich übrig.

Ich sage Nicolas nicht, dass der Alte Wald auch mir einen Wunsch erfüllt hat, damals auf der Suche nach Eleanor. Im Grund habe ich selbst keine Ahnung, was das Land dazu gebracht hat, mir zu helfen. Was für ein Interesse könnte Fabelreich an mir haben? Wusste der Wald irgendwoher, dass ich eines Tages Priora werden würde? Oder ist hier etwas anderes im Gange, viel tiefer und bedeutender, das Asteria dazu gebracht hat, mich in ihrer Prophezeiung Soteria zu nennen.

Irgendwie ist mir nicht ganz wohl dabei. Mit einer Art Vorsehung, könnte ich mich vielleicht noch anfreunden. Dem Gedanken, dass manche Menschen für bestimmt Aufgaben, Zeiten oder Orte ausgewählt werden, für oder gegen die sie sich frei entscheiden können. Aber dieses kalte, fremdbestimmt Schicksal, das einen zur willenlosen Marionette macht, daran kann und will ich einfach nicht glauben.

Gemeinsam steigen wir Alumni die steinernen Stufen zwischen Lavendel und blau blühendem Rosmarin hinab ins Tal. Je tiefer wir kommen, desto drückender wird die Luft. Der Himmel hat sich zugezogen, es sieht nach Gewitter aus. Am Fuß der Stufen erwartet uns bereits das Triumvirat, der Phönix, der Zentaur und Asteria. Heute Abend trägt sie ein Kleid aus reinem Silber und einen schmalen Reif aus Sternen über dem Haar.

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