Prolog

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Manche Nächte sind dunkler als andere.

Dunkel wie Tinte und Rabenfedern und Asche. Dunkel wie die Zeiger der Turmuhr, der Lack der Laternen, die Schilder der Pubs. Sie sind dunkel, weil ihnen fehlt, wovon es andernorts so viel gibt: Neonreklame, Scheinwerfer, Discokugeln und Flutlicht. Aber genau in diesem Fehlen liegt ihr Reichtum.

Denn nur eine dunkle Nacht ist eine echte Nacht. Und nur eine echte Nacht lässt den Schatten ihren Raum, den Träumen und Geheimnissen. Nur eine echte Nacht bringt Magie zur Welt.

Nur eine echte Nacht wird zur Fabelnacht.

Genau so eine Nacht ist es, in der die Frau, selbst kaum mehr als ein Schatten, zum ersten Mal seit Jahren wieder aus der Verborgenheit tritt. Ein paar Herbstblätter rascheln unter ihren Schuhen, als sie die Princess Street Gardens verlässt. Es gibt kein Licht, das sie verraten könnte, abgesehen vielleicht vom Zifferblatt der Milchglasuhr, die hoch über ihrem Kopf wie ein künstlicher Vollmond auf das steinerne Labyrinth der Altstadt blickt. Gerade rückt der Stundenzeiger auf Mitternacht.
Stunde der Geister. Stunde der Hexen.

Die Frau bewegt sich weiter, rasch, aber leise. Nur hin und wieder schieben sich die Spitzen ihrer schwarzen Lederschuhe unter ihrem Schattenumhang hervor, während sie die Stufen in Richtung Oldtown hinaufsteigt.

Ein Geräusch lässt sie innehalten. Wenige Biegungen weiter vorn im Gassengeflecht huscht eine Gruppe giggelnder Touristinnen, angeführt von einem Mann mit Laterne, durch die Dunkelheit. Die Frau wartet bis sich das blaue Leuchten der Smartphone Bildschirme verloren hat. Dann erst geht sie weiter. Diese Mädchen mögen auf Gespenstertour sein, aber die
Begegnung mit einem echten Monster will sie ihnen lieber ersparen. Erst ein paar Gassen unterhalb der berühmten Royal Mile hält sie inne.
Das Gefühl ist hier am stärksten. Mittlerweile kitzelt ihre Nase so sehr, dass sie niesen muss.

Sie hat es lange nicht mehr gespürt. Edinburghs letzte Fabelnacht ist Jahre her, wenn nicht sogar Jahrzehnte. Beinahe hat sie vergessen, wie es sich anfühlt. Beinahe. Wer einmal gespürt hat, wie Magie geboren wird, vergisst es nie wieder. Es rüttelt dich wach, erschüttert dich bis in die Knochen.

Sie verharrt unter einer Straßenlaterne, gerade so weit außerhalb des Lichtkegels, dass sie verborgen bleibt. Selbst die Schatten, die sie verhüllen, meiden das Licht. Wann immer der Herbstwind in ihren Umhang fährt und den Stoff bauscht, zucken sie vor dem Laternenschein zurück. Kräuseln um seinen Rand, als sei er eine Grenze, die sie nicht übertreten können.

Normalerweise würde sie die Schatten nicht so offen tragen. Aber heute ist alles anders. Heute ist sie im Dienst. Die Fabelnacht schärft ihre Sinne, weckt Instinkte, die älter sind als gesellschaftliche Konvention und Kultur, älter selbst, als die Zivilisation an sich.

Heute will sie sich nicht verstecken, weder in dieser, noch in der anderen Welt.
Wenigstens einmal wird sie zeigen, wer sie wirklich ist.

Plötzlich öffnet sich zur ihrer linken die Tür eines Pubs. Licht und Gelächter ergießen sich auf das Kopfsteinpflaster, gefolgt von einer Gruppe stolpernder Teenager und der Stimme des Wirtes: „Versucht es bloß nicht noch einmal!"

Mit gemurmelten Flüchen machen sich die Jugendlichen auf den Weg in Richtung der beleuchteten Straßen.

Eine von ihnen muss es sein.

Die Frau richtet sich auf, streckt sich der Nacht entgegen. Das Ziehen wird jetzt fast unerträglich. Ist es das, was Tiere auf der Jagd fühlen? Sie rafft ihren Umhang, bereit zur Verfolgung.

Und dann verschwindet sie wie sie gekommen ist: ein Schatten unter Schatten.



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Wenn du diese Gesichte liest und sie dich für eine Weile unterhält, würde ich dich an dieser Stelle um etwas bitten:

Es freut mich einfach extrem, wenn du mir entweder durch Votes oder Kommentare zeigst, dass dir die Geschichte gefällt.

Dadurch sehe ich, dass hinter den anonymen Zahlen auf Wattpad echte Menschen stecken, die meine Arbeit und Zeit wertschätzen. Und das ist es, was mich, und sicher auch andere Autoren, zum weiterschreiben hier motiviert.

Autoren können selbst schlecht einschätzen, ob sie jetzt gut schreiben oder nicht (zumindest geht es mir so).
Deswegen sind wir auf Rückmeldungen angewiesen.
Wenn nie ein Echo zurückkommt, schreiben wir ja immer nur in einen leeren Raum. Und das kann echt frustrierend sein und einen auf Dauer auch vom Schreiben abbringen. Oder zumindest vom Veröffentlichen.

Rückmeldung über meinen Stil und allgemein die Qualität der Geschichte würden mir da sehr helfen!

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Deswegen schreibe mir unbedingt immer gerne deine Gedanken zur Geschichte! Es kann gar nicht zu viele Kommentare geben :D

Viel Spaß beim Lesen!
Wortweberin 

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