Feuerprobe (1)

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Ich folge Alumi Eric durch den Innenhof ins linke Seitenhaus. Das Kollegium des Feuers bewohnt den kompletten zweiten Stock, so viel hat mit Roxy schon bei unserer Führung gesagt. Betreten darf ich die Räume allerdings erst jetzt, unter Aufsicht des Chefs.

Offenbar haben feueraffine Wächter einen, sagen wir, speziellen Einrichtungsgeschmack. Ihr Kollegium unterscheidet sich jedenfalls deutlich vom altenglischen Stil des restlichen Hauses. Eher Ludwig der Sonnenkönig. So protzig, dass es schon kitschig wirkt. Die Räume sind hoch und lang, wie Prunksäle in einem Barockschloss. Riesige Kristalllüster, die den Kerzenschein tausendfach brechen, hängen von den Decken. Auch an den Wänden werfen Spiegel das Licht zurück und wo sie fehlen, sind die Tapeten so mit goldenem Stuck überladen, dass man ihre Farbe kaum noch erkennen kann. Flammen und Sonnen sind das bevorzugte Motiv. Von dem vielen Gold und den flirrenden Regenbogenprismen der Kronleuchter wird mir ganz schwindelig. Insgeheim bete ich jetzt schon, dass ich bei dieser Prüfung scheitere. Wenn ich meine Zukunft in dieser Umgebung verbringen muss, raste ich aus.

Eric führt mich durch endlose Raumfluchten, vorbei an seinen Kollegen, die in zerbrechlich wirkenden Rokoko-stühlchen miteinander schwatzen und Tee vor lodernden Kaminen trinken. Sie starren wir neugierig hinterher bis wir bei einer großen Flügeltür ankommen. Eric braucht beide Hände, um sie aufzustoßen.

Dahinter liegt ein Saal aus Gold. Wirklich, ich kann es nicht besser beschreiben. Der Boden, pures Gold, die Wände, goldener Stuck, dazwischen Spiegel, Fresken, Kronleuchter und noch mehr Gold. Entfernt erinnert mich der Raum an den Spiegelsaal von Versailles, den ich vor ein paar Jahren im Sommerurlaub besucht habe, aber selbst der kommt nicht an diese Strahlkraft ran. Es ist, als sei ich in ein Zimmer aus Sonnenlicht getreten. Weiches, abendliches Sonnenlicht, das alles um es herum schöner macht.

Eine Sache irritiert mich dann aber doch. Es gibt keine Möbel. Der Raum ist leer, bis auf eine hüfthohe Feuerschale, in der eine einzige blaue Flamme brennt.

Eric tritt neben mich. Zusammen blicken wir schweigend auf das kleine Feuer vor uns. „Wusstest du", fragt er schließlich, „dass es in Rom einen Wasserspeier gibt, der dir sagen kann, ob du lügst? Legst du deine Hand hinein und behältst sie, sagst du die Wahrheit. Lügst du...nun, es ist nur eine Legende. Aber unsere Prüfungen funktionieren ähnlich."

„Klingt ja einladend", sage ich kühl.

Ein Schmunzeln kräuselt seine Lippen. „Keine Sorge. Bleibende Schäden sind selten."

Wenn mich das jetzt beruhigen sollte, hat es nicht funktioniert.

„Diese Flamme enthält die Essenz aller Talente, die mit dem Element Feuer verbunden sind", fährt er fort, „Spürt sie etwas davon in dir, wird sie antworten. Halte deine Hand rein. Vertrau mir, es tut nicht weh. Zumindest nicht sehr."

Es gibt, glaube ich, von allen Alumni keinen, dem ich weniger vertraue als Eric, aber gut. Langsam trete ich näher an die Schale. Normalerweise wird es heißer, je näher man einem Feuer kommt, aber hier habe ich seltsamerweise das Gefühl, dass ich von Schritt zu Schritt mehr friere. Ein gleichmäßiger bläulicher Schimmer geht von der Flamme aus. Sie zischt oder knackt nicht, strahlt keine Wärme ab und wirft keinen Schatten. Wie alles an diesem Ort ist sie anders. Magisch.

Meine Hände umschließen den Rand der Feuerschale. Ich zögere. Wahrscheinlich ist es ein natürlicher Reflex, sich nicht die Finger verbrennen zu wollen. Als Kind konnte ich nicht mal ein Streichholz anbrennen. Ach, was soll's. Augen zu und durch. Dummes Sprichwort eigentlich, denke ich, während ich mit zusammengekniffenen Lidern meine rechte Hand in die Flamme halte. Als ob es weniger weh tut, nur weil man die Augen zu hat.

Aber es tut tatsächlich nicht weh. Weder mit offenen, noch mit geschlossenen Augen. Die Flamme umspielt meine Finger, zart wie eine Feder oder ein kühler Windhauch. Nachdem eine Minute lang nichts passiert ist, komme ich mir dumm vor und drehe mich zu Eric um.

Seine Miene ist unbewegt. „Du hättest ohnehin nicht zu uns gepasst."

„Die Flamme sollte heiß und rot werden", erfahre ich später von Alumna Constanze. „Nimm's nicht so schwer."

Ich bin echt nicht in der Stimmung für schlechte Aufmunterung.

Offenbar wird mir wenigstens die Fahrt zum Kollegium des Wassers im Leuchtturm erspart, Constanze führt mich nur zum Bootshaus. Es sieht aus wie die Nachbildung eines antiken römischen Tempels, mit Säulen und Mosaiken von Delfinen. In der Mitte ist ein quadratisches Wasserbecken in den Boden eingelassen. Eine Frau mit schwarzem Haar badet darin, sie lehnt entspannt am hinteren Beckenrand, ganz in Gedanken vertieft. Erst auf den zweiten Blick, erkenne ich, dass es keine Beine sind, die vor ihr im Wasser schweben, sondern ein geschuppter, silbrig weißer Fischschwanz.

„Du bist eine Meerjungfrau!", platzt es aus mir heraus, ehe ich darüber nachdenken kann.

Langsam dreht sie mir den Kopf zu. Sie taxiert mich, einmal, von oben bis unten. Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen und spätestens jetzt kommt mir der Verdacht, dass ich gerade einen Fehler gemacht habe. „Und du bist ein Mensch", stellt sie nicht sehr begeistert fest, „Einer von der respektlosen Sorte. Woher willst du wissen, ob ich Jungfrau bin?"

„Ähm." Zugegeben, die Frage habe ich nicht kommen sehen. Zum Glück eilt mir Constanze in diesem Moment zur Hilfe:

„Sie bevorzugen den Begriff Nixe oder Meerfrau", sagt sie schnell, bevor sie sich wieder an die Meerjungfrau -pardon- Meerfrau wendet: „Entschuldige, Sereide. Lina ist neu. Sie kennt sich mit vielen Dingen noch nicht aus."

Die Nixe grummelt nur. „Gib mir deine Hand, Mädchen! Ich hab heute auch noch was anderes vor."

Constanze nickt mir zu, also mache ich ein paar Schritte und knie mich vor den Rand des Steinbeckens. Sereide packt meine Hand. Einen Moment fürchte ich, sie will mich mit in die Tiefe ziehen, aber sie knetet nur in meiner Handfläche herum, wie eine Wahrsagerin, die Lebenslinien liest. Ein leicht perlmuttener Schimmer geht von ihrer Haut aus und ihre Augen sind so intensiv blau, wie ich es noch bei keinem Menschen gesehen habe, nicht einmal mit Photoshop und Filter. Schließlich lässt sie meine Hand wieder fallen.

„Keine Unze Salz im Blut. Ganz zu schweigen von Magie."

„Wirklich?", fragt Constanze, „Dein finales Urteil?"

„Hör zu, ich mache das jetzt auch nicht zum ersten Mal! Das Mädchen ist so talentfrei wie eine Seeschnecke."

Na, danke auch.

Constanze nickt. „Es hat mich gefreut, dich mal wieder zu sehen."

Sereide spart sich eine Antwort. In einer einzigen Bewegung ist sie abgetaucht. Nur ihre Schwanzflosse hebt sich ein letztes Mal aus dem Wasser, bevor sie mit einem kräftigen Schlag auf die Oberfläche knallt und eine Welle aus dem Becken schwappen lässt. Ich kann gerade noch die Hände heben, aber auch das verhindert nicht, dass sich ein Tropfenschauer über mich und die umliegenden Mosaike ergießt.

„Erste Lektion in unserem Kollegium", sagt Constanze, nachdem sich die Wogen wieder beruhigt haben und mir das Wasser aus den Sneakers quillt. Ihre Stimme hallt von den Wänden wie in einem Schwimmbad. „Verärgere niemals eine Nixe."

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