Maulwürfe und Giftschlangen (1)

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„Kannst du mal endlich aufhören, hier rumzuschleichen wie ein Tiger? Du machst mich ganz nervös!"

Mo wirft mir einen kurzen Blick von der Störe meine Kreise nicht Sorte zu und wäre dabei fast gegen die Wand gelaufen.

Ich verdrehe nur die Augen und lutsche weiter auf meiner Feige herum. „Sag Bescheid, wenn du den Erdkern erreichst. So wie du rennst, hast du den Boden bald durch." Der Raum, in dem wir schlafen sollen, ist ziemlich klein. Nach fünf Schritten vorwärts hat Mo die Tür erreicht, kehrt um, läuft fünf Schritte zurück bis zur Rückwand. Vor, zurück, vor zurück. So geht das jetzt schon seit einer halben Stunde. Ein bisschen erinnert er mich an meinen alten Mathelehrer, wann immer ihn eine besonders knifflige Gleichung umgetrieben hat.

„Wie kannst du so ruhig dasitzen?" Es versucht sich zu beherrschen, aber ich höre den Ärger, der in Mos Stimme mitschwingt.

Wenn ich ehrlich bin, frage ich mich das selbst. Ich habe Mo nichts von Asterias Prophezeiung erzählt. Ein Teil von mir hat Angst, die Worte könnten wahrer werden, wenn ich so nochmal ausspreche, wenn auch Mo sie ernstnimmt und mich mit besorgter Miene anschaut. So kann ich das alles immer noch als esoterische Spinnerei abtun. Hier in Nicolas' Haus unter dem warmen Schein marokkanischer Laternen und einigen Stunden und Kilometern Abstand zu dieser mondbeschienenen Arena, hat Asteria einiges an mystischer Aura eingebüßt.

Nichts von ihren Worten muss stimmen. Hat sie nicht selbst gesagt, sie sieht nur mögliche Versionen der Zukunft? Am Ende tritt eine ganz andere ein. Das heißt, wenn sie mich nicht komplett angelogen hat. Asteria mag keine Feindin sein, aber eine Freundin ist sie auch nicht. Ich gehöre immer noch zum Kolleg. Was, wenn ihr uralter, scharfer Verstand mich als schwächstes Glied der Kette ausgemacht und gezielt mit Falschinformationen gefüttert hat? Womöglich denkt sie, ich, als Neuling, bin leichter zu beeinflussen? Es gibt für mich im Moment absolut keinen Grund, den Worten einer Rebellin Glauben zu schenken. Und Mo sollte das noch weniger tun.

„Was bleibt mir denn anderes übrig, als rumsitzen? Wir kommen hier nicht weg, ohne unsere Portalbücher." Vorhin, als Arachne uns das Essen gebracht hat, konnte ich sie durch den Spalt der Tür kurz sehen. Unsere Winterjacken sind auf der Fensterbank im Flur gestapelt. Ganz in der Nähe, aber dennoch außerhalb unserer Reichweite. Arachne selbst wäre sicher zu überwältigen, aber leider wurde sie bis jetzt immer von Nicolas begleitet und selbst Mo ist nicht so blöd, mit dem einen Kampf anzufangen. „Uns bleibt nichts übrig, als mitzuspielen: Warten, bis sie unsere Erinnerungen gelöscht haben und uns laufen lassen. Dann melden wir Eleanors Verschwinden dem Kolleg. Und hoffen, dass sie uns glauben."

„Bis dahin könnte Eleanor tot sein!" Während meiner Worte ist Mo kurz stehen geblieben, aber jetzt beginnt er wieder mit seiner Auf-und Ab-Geherei. „Und überhaupt, ich habe keine Lust mir von dieser Elfe meiner Erinnerung löschen zu lassen. Wahrscheinlich gibt's noch ne gratis Gehirnwäsche obendrauf."

„Übertreib halt."

„Ist doch wahr!" Diesmal ist Mos Blick eindeutig verächtlich. „Im Gegensatz zu dir, mache ich mir wenigstens Gedanken."

„Was soll das denn jetzt heißen?"

„Ich suche nach Lösungen, einem Weg hier raus, während du...ja, was denn? Es dir schmecken lässt? Für dich ist das hier doch nur so ne Art Abenteuerurlaub."

„Jetzt mach mal halblang! Ich bin einfach müde und hab Hunger. Vielleicht schluckst du deinen Stolz mal runter und isst auch was. Dann bessert sich deine Laune." Ich deute auf Tomatenbrot und Käse. „Eleanor hat nichts davon, wenn du verhungerst." Mo schnaubt nur. „Dann schmoll halt weiter." Ich habe das Glas mit Limettenwasser an den Mund.

„Trink das nicht!", sagt Mo, bevor es meine Lippen berührt. Seine Stimme ist scharf.

Ich stoppe mitten in der Bewegung und wende mich ihm zu, mit gerunzelter Stirn. „Was hast denn jetzt-"

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