Die Eirenen (4)

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Zwei Stunden später sitze ich auf dem Ehrenplatz am Kopfende einer kerzenbeschienenen Tafel in Asterias Haus. Genauer gesagt auf der Terrasse ihres Hauses. Zu meinen beiden Seiten erheben sich filigrane Jugendstilbögen wie aus Silber getriebene Bäume und vereinigen sich über uns zu einem Dach aus lebendigen weißen Blüten. Ein starker Geruch nach Flieder und Holunder geht von ihnen aus. Hin und wieder, wenn eine leichte Brise durch die Arkadenbögen streicht, schweben ein paar Blüten zu uns auf die Tafel hinab, langsam wie Schneeflocken. Silberne Laternen hängen aus dem Blütenmeer hervor und beleuchten die Festgesellschaft unter ihnen, das Triumvirat und die Alumni. Dazu noch eine ganze Reihe Elfen, offenbar alles wichtige Persönlichkeiten in Asterias Volk. Gerade kichert Roxy, als einer der Elfen ihr den Kopf zuneigt und etwas in ihr Ohr flüstert. Faustia betrachtet die beiden mit nur mäßigem Interesse. Ihr Blick schweift ab, hinaus in die Dunkelheit, wo man leuchtende Glühwürmchen und die scharfen Scherenschnittumrisse von Asterias Gärten erkennen kann. Es ist kühler geworden mit Einbruch der Nacht, aber nicht kalt. In der Ferne kann ich das Meer rauschen hören und kurz fühle ich mich wie in den Sommerferien in Italien. Das hier hätte wirklich ein schönes Abendessen im Urlaub sein können. Wenn zu meiner linken nicht eine uralte Elfe sitzen würde.

Asteria hebt ihren Weinkelch, der aussieht wie eine gläserne Blüte auf einem zarten Stängel. Sofort verstummen um uns herum die Gespräche. Die Alumni schauen zu ihr auf und Eric runzelt die Stirn. Auch ich bin verwirrt. Wir haben schon vor dem Essen angestoßen. Auf unser neues Bündnis, auf ein Ende von Damons Tyrannei, all sowas eben.

Auf einen Blick Asterias hin, treten die Elfen, die uns an diesem Abend serviert haben, aus dem Schatten der Arkaden und neigen ihre Karaffen über unsere Gläser. Das gesamte Essen hindurch gab es Wein, ausschließlich den dunkellila Holunderwein der Elfen, versetzt mit erfrischenden Kräutern. Dieser Wein aber hat die Farbe von Bernstein, färbt den Blütenkelch des Weinglases honigfarben. Die anderen Alumni und auch der Rest des Triumvirats sehen genauso ratlos aus wie ich, aber die Miene der Elfen hat sich beim Anblick des Weins verändert. Sie erheben sich, jeder seinen Kelch in der Hand mit ernster Miene. Zögerlich folgen wir ihrem Beispiel.

„Wir haben getrunken und gegessen", sagt Asteria im Ton einer Priesterin und hebt ihr Glas noch ein Stück höher, „Haben unser Bündnis gefeiert und gefestigt, das erste Bündnis zwischen dem Kolleg und dem Triumvirat von Fabelreich." Bei ihren Worten stehe ich, wie Eric nervös von einem Fuß auf den anderen wippt. „Aber in dieser Nacht, die so voll Verheißung ist, wollen wir das Opfer derer nicht vergessen, die diesen Neuanfang möglich gemacht hat. Die ihr Leben für das anderer gegeben hat. Auf Eleanor Murray!" Kurz taucht Asteria die Finger in den Kelch und sprenkelt etwas von der goldenen Flüssigkeit in die Nacht. „Ich nenne sie eine Gerechte. Eine Friedensstifterin für unser Volk." Die Elfen tauschen vielsagende Blicke. Offenbar hören sie aus Asterias Worten etwas heraus, das wir anderen nicht tun. Dann folgen sie ihrer Herrscherin und tauchen ihren Finger in den Wein.

Vielleicht ist es eine Art Ritual? Ein Opfer für die Toten, in Erinnerung an das Blut, dass sie für die Lebenden vergossen haben. Elfen bluten schließlich golden, nicht rot wie Menschen.

Als alle anderen einen Schluck aus ihren Kelchen nehmen, hebe auch ich das Glas an die Lippen-

und setze es überrascht wieder ab, als mir ein scharfes, süßes Brennen durch die Kehle wandert.

Da begreife ich es. Das Zeug ist gar kein Wein.

Es ist Whiskey.

Meine Augen suchen Asterias und ich sehe sie lächeln. Whiskey. Der Tribut der Elfen an Eleanor. Eine Respektsbekundung, nicht nur vor den Wächtern, sondern vor ihrem eigenen Volk.

Meine Kehle verschließt sich, wie von einem unsichtbaren Faden zugeschnürt. Ich weiß, dass mich wieder einmal jeder an der Tafel anschaut und auf eine Reaktion wartet.

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