Magdalen College (2)

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Es sind nur ein paar Tropfen. Verschmiert, als wäre jemand mit den Kopf an die Schreibtischkante gestoßen und danach sofort bewusstlos zu Boden gerutscht. Trotzdem hat sich das Bild in mein Gedächtnis gebrannt. Selbst eine Stunde später zittere ich noch. Was allerdings genauso gut an der Kälte liegen könnte.

Mo und ich sitzen an einem Tisch im Freien vor dem Vaults and Gardens. Das Café ist seitlich in eine Kirche gebaut, innen hat es hohe gewölbte Decken und gotische Fenster, aber Mo hat trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt und den misstrauischen Blicken der Verkäufer darauf bestanden, dass wir uns raus setzen. Selbst ohne Studenten ist drinnen einiges los und unser Gespräch sollte besser keiner mithören. Auch wenn ich nicht begeistert bin, im Dezember auf einer Bank im Freien festzufrieren, in einem waren Mo und ich uns einig: So weit vom College und Eleanors eiskalter Wohnung wegkommen, wie nur möglich.

„Sie wurde entführt." Mos Miene ist eisern. Zwischen uns steht eine quietschgelbe Teekanne, (ziemlich grelle Kontrastfarbe an einem Wintertag, langsam begreife ich, warum die Engländer auf gelbe Regenjacken und bunte Haustüren stehen). Hin und wieder nimmt er einen Schluck aus seiner dampfenden Tasse, aber die Scones auf dem Teller vor ihm hat er noch nicht angerührt.

„Mach mal langsam." Ich probiere einen Bissen von meinem Acocado-Toast und beobachte die Gruppe Touristen, die, ausgerüstet wie zu einer Polarexpedition, an uns vorbeimarschieren. Sie sind nicht die ersten, offenbar sitzen wir an einem berühmten Sightseeing Spot. Um uns herum sind die Kopfsteinpflaster von mittelalterlichen Steingebäuden gesäumt, College reiht sich an College, dazwischen ein großer quadratischer Bau (offensichtlich eine Bibliothek) und ein kreisrunder (noch eine Bibliothek), der nach Barock aussieht. Das schwarze Schild davor sagt, dass wir uns auf dem Radcliffe Square befinden, aber alles, was der Name in meinem Gedächtnis auslöst, ist die Erinnerung an einen gewissen Harry Potter Darsteller. „Noch wissen wir nichts."

„Wir wissen, dass sie weg ist!", sagt Mo, lauter als nötig, „Spurlos verschwunden. Und an ihrem Schreibtisch klebt Blut. Wie würdest du das-"

„Keiner hat etwas Verdächtiges gesehen." Wir haben uns mit dem Pförtner unterhalten. Er hat uns bestätigt, dass Eleanor vor ein paar Tagen hier angekommen ist. Und, dass sie das College seitdem nicht mehr verlassen hat. „Überleg doch mal. Sie kommt heim, trinkt- zu viel- stürzt, schlägt sich den Kopf an. Dann will sie vielleicht an die frische Luft, reißt das Fenster auf und-"

„-macht in diesem Zustand noch einen kleinen Spaziergang? Durch das Fenster?", fragt Mo mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Wer weiß, kann doch sein? Sie wäre nicht die erste, die betrunken irgendeinen Quatsch anstellt und draußen einschläft. Vielleicht sollten wir mal die Krankenhäuser abtelefonieren."

„Sorry, einfach nein." Mo schüttelt den Kopf. „Was ist mit den Kernen?"

Guter Punkt. Seit geschlagenen zehn Minuten tippe ich jede Kombination von Granatapfelkern und der Zahl vier in mein Handy, auf der Suche nach irgendeinem Hinweis, was diese seltsame Installation bedeuten könnte. Bis jetzt erfolglos. Dafür weiß ich mittlerweile, wie man einen Granatapfel aufschneidet, ohne seine Küche nach Blutbad aussehen zu lassen. Immerhin.

„Mal ganz davon abgesehen", frage ich, während ich mich weiter durch die Suchergebnisse tippe, „Wer sollte sie denn entführen?"

„Wer auch immer es war, er muss gewusst haben, dass hier ist und nicht im Kolleg. Was eigentlich nur auf jemanden aus Fabelreich-"

„Mo?" Ich starre auf meinen Handybildschirm. „Hast du schon mal was von Persephone gehört?"

Er stoppt mitten in seinem Satz, hörbar genervt. „Was?"

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