Eine Weihnachtsgeschichte

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Mit rosigen Wangen trat Ella aus der Kirche und strahlte. Sie war keine Kirchgängerin, doch heute hatte sie es genossen, inmitten der Fremden dem zu gedenken, worüber sie dankbar sein konnte. Das bedeutete für sie Glaube. Sie war nicht sicher, ob es ein Wesen gab, das alle Geschicke der Menschen lenkte und ihnen verzieh, wenn sie Mist bauten. Doch sie war sich sicher, dass alles Gute, das man tat, irgendwann zu einem zurückkam, genauso wie alles Schlechte.

Dieses Jahr konnte sie noch dankbarer sein als die Jahre zuvor, dachte sie und rieb sich die kalten Fingerspitzen, ehe sie merkte, wie ihre Hände mit zwei anderen bedeckt wurden. Eine war größer als ihre, die andere kleiner. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht und sie schaute in die leuchtenden Augen ihres Sohnes, der sie angrinste. Wie immer machte die Wärme in seinen blauen Augen sie ganz trunken und schnürte ihr die Kehle zu.

Genauso wie der Blick in die grünen Weiten des Besitzers der größeren Hände, die ihre Finger nun zum Pritzeln brachte, weil sich seine Körperwärme auf sie übertrug. Aufs Neue setzte ihr Herz einen Schlag aus und Wärme breitete sich auch in ihrem Innersten aus. Das hatte sie jahrelang vermisst. So sehr. Doch dieses Jahr fühlte sie sich nicht so allein wie in den Jahren zuvor. Noch ein Punkt, wofür sie dankbar war.

Ihre Augen suchten nach ihrer Tochter, die sich etwas abseits hielt und in typischer Teenagermanier die Hände in die Jackentaschen vergraben hatte. Sie wirkte trotzdem fröhlich, soweit Lara solche Gefühle eben zeigte. Endlich hatte sich ihre Große an den neuen Mann an ihrer Seite gewöhnt. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte sie sich nicht davon zu träumen gewagt. Doch nun kamen sie ganz gut klar.

„Wollen wir dann?"

Sie wandte sich Ben zu und nickte. Sie hatten abgemacht, dass sie noch einen Spaziergang machten, ehe sie zu ihr nach Hause zurückkehrten. Sie wollten sich noch einen - von ihr im Stillen heißgeliebten - Weihnachtsfilm ansehen, während der vorbereitete Braten in der Ofenröhre briet und seinen herrlichen Duft verströmte. Danach würde das Christkind kommen. Sie konnte es kaum erwarten. Die strahlenden Gesichter ihrer Liebsten entlohnten sie immer für den Stress im Vorfeld.

Also setzten sie sich zu viert in Bewegung. Die Kälte biss ihr in die Wangen und sie schaute fröhlich in den Himmel, von dem nun dicke Flocken hernieder gingen. Bis vorher hatte es so ausgesehen, als würde es wieder ein grünes Weihnachten werden, doch offenbar würden die Dächer und Straßen bis zur Bescherung einen Puderschneeüberzug haben.

Max ließ ihre Hand los und sogar Lara jauchzte, während ihre Kinder die Arme ausbreiteten und in den Flocken tanzten. Ihre Tochter tat immer so unbeteiligt und so abgeklärt, doch wenn es schneite, durfte ihr kleines Kind heraus und im Schnee tollen. Wie immer machte ihr Herz dabei einen Hüpfer. Dann erinnerte sie sich, welche Bindung sie früher zueinander gehabt hatten, doch natürlich hatte sie sich im Lauf der Zeit verändert.

Sie hörte Ben neben sich kichern und eine Gänsehaut überlief sie, während sie ihn automatisch ansah. Seine Augen waren auf die Kinder gerichtet, die versuchten, mit den paar Flocken, die liegenblieben, einen Schneeball zu formen. Wieder stockte ihr der Atem, weil sie von so viel Ehrfurcht geflutet wurde, dass ihre Kehle keinen Sauerstoff mehr in die Lunge transportierte.

Ihr Blick wurde von der festlichen Beleuchtung angezogen, die sich strahlend und hell gegen die Dunkelheit abhob und durchzogen war von den tanzenden Schneeflocken. Seitlich davon schien das Licht aus den Wohnungen und verstärkten das warme Licht in der Gasse, durch die sie nun liefen. Sie würden an die Donau gehen, hatten sie beschlossen und je näher sie dem Strom kamen, umso mehr verblasste die Beleuchtung. Nur der fahlere Schein der Straßenlaternen wies ihnen nun den Weg, doch irgendwie verstärkte das bei ihr nur das Gefühl des Friedens.

An Weihnachten schien die Zeit sich immer ein bisschen langsamer zu bewegen und sie summte automatisch ihr Lieblingsweihnachtslied mit, das sie schon seit ihrer Kindheit begleitete. Sie hatte nie ein Schöneres gehört, nie hatte sie ein anderes mehr berührt. Sie bemerkte im Augenwinkel, wie Ben schmunzelte und ihr einen liebevollen Blick zuwarf, während sich ihre Kinder nun schwerschnaufend wieder an ihre Seite gesellten.

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now