Die Unschuld vom Lande

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NICHTS FÜR SCHWACHE NERVEN! ERWACHSENENINHALT!

Sie lachte innerlich, während sie ihrem Gesicht den Anschein von Bedauern gab. Doch innerlich jubilierte sie, als sie die Tränen ihres Gegenübers wahrnahm. Sie würde nie auf die Idee kommen, dass sie jetzt wegen ihr litt und das machte sie noch fröhlicher. Sie war einfach zu dämlich, um zu kapieren, dass sie es gewesen war, die das ausgelöst hatte, was sie nun zu diesem haltlosen Schluchzen brachte. Wie man nur so armselig sein konnte!

‚Buhuhu', hallte in ihr und sie biss sich auf die Zunge, um nicht zu kichern.

Macht rauschte durch ihre Adern, genauso wie Adrenalin. Diese Mischung hatte sie schon immer trunken vor Glück gemacht, vor allem, wenn sie die aufrichtige Trauer der anderen in sich aufgenommen hatte wie ein Schwamm Wasser aufsaugte. Aber nach außen hin konnte sie das nicht zeigen. Immerhin wurde sie gelehrt, dass falsch sei, wie sie empfand. Doch das war ihr egal. Jetzt war es ihr egal. Seit sie von der Macht gekostet und sie deren Kitzeln gefühlt hatte. Welchen Einfluss sie doch auf die Gefühle anderer hatte! Sie waren nicht mehr als Marionetten und zu dumm, es zu erkennen.

„Welche Bestie tut denn sowas?", fragte ihre Mutter mit tränenschwerer, rauer Stimme und sie schaute sie mit ihren großen blauen Augen an und verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse der Trauer.

Wenn sie sich Mühe gab, konnte sie sich nochmal ein paar Tränchen abringen. Aber sie war noch nicht fertig heute. Sie sagten, sie wäre falsch und genau das würden sie heute büßen. So lange hatte sie das schon geplant. Sie war erst 17, aber doch um so viel schlauer, als sie ihr alle zutrauten. Es würde ein Fest werden. Nur für sie. Ihr persönliches Rache-Fest für all die Sprüche, die sie ihr immer wieder gedrückt hatten.

Ok, sie hatten nicht geahnt, dass sie über ihre Tochter gesprochen hatten, wenn sie sich wieder einmal beschwert hatten, wie abartig die verstümmelten Tiere waren, die sie immer mal wieder im Garten gefunden hatten. Aber das war auch nicht wichtig. Sie war nicht abartig. Sie waren es mit ihrer aufgesetzten Freundlichkeit und ihrem Buhuhu. Armselig, das waren sie. Sie war anders. Sie war mächtig. Sie konnte machen, dass ein Tier diese Töne von sich gab, während es um sein Überleben kämpfte.

Die kleine Süße mit dem Aussehen eines Engels, weil sachte Locken ihre feinen Gesichtszüge umschmeichelten und deren Blick aus den strahlenden Augen niemand widerstehen konnte. Sie hatten keine Ahnung, hatten sie nie gehabt. Sie hatte lange gebraucht, um zu lernen, ihre Gefühle zu imitieren und ihr Können zu perfektionieren. Dank ihrem Aussehen würde ihr niemand zutrauen, was sie tat, das war auch etwas, was sie ihr gelehrt hatten.

Sie hatte nie wirklich zu ihnen gehört und sie war viel besser als der Rest. Heute würden sie es erfahren. Wie mächtig ihr süßes Engelchen war, das sie immer behandelten, als könne sie nicht bis zehn zählen. Dabei war sie es, die so getan hatte, als wäre sie völlig aufgelöst, weil sie den sterbenden Familienkater „gefunden" hatte. Er war ein Meisterwerk geworden. Sie hatte hart geübt, um so gut zu werden. Ihre Hände hatten fast nicht mehr gezittert, während die Aufregung durch sie geströmt und ihr Herz vor Vorfreude heftig gegen ihre Rippen gepocht hatte, als sie sich die Gesichter ihrer Eltern vorgestellt hatte.

Aber es war noch besser, als ihre Fantasie ihr das erlaubt hatte zu hoffen. Jeden Moment ging es los. Beim Gedanken daran zuckte ihr Mundwinkel hoch und plötzlich erstarrte ihre Mutter. Pure Freude flutete sie, so sehr, dass sie sich zwingen musste, weiterzuatmen, als sie in deren Augen die Erkenntnis und erwachendes Misstrauen wahrnahm.

„Estelle?"

‚Zeit zu feiern', dachte sie und sagte kalt: „Ja, Mutter?"

„Du ... du ... du ... du warst das?!"

„Ja, Mutter."

Sie ließ ihre Erzeugerin nicht aus den Augen. Der Schmerz, der sich in deren Blick spiegelte, machte sie wieder trunken. Es war so gut. So unwahrscheinlich gut. Und sie hatte das auf die Beine gestellt.

„Warum, Estelle? Die ganzen Tiere ... das warst du?!?"

„Ja, Mutter."

„Aber warum?"

„Weil ich es kann und es Spaß macht. Es ist wie Musik, wie sie um ihr Leben flehen, jedes Tier in seiner Sprache. Doch im Angesicht des Todes reagieren sie alle gleich. Schau hin", verlangte sie aufgeregt und zeigte auf den Familienkater, der seine letzten Regungen machte.

Ihre Erzeugerin folgte ihrer Anweisung. Sie erfreute sich an deren Kampf, wegsehen zu wollen und doch fasziniert zu sein von dem, was sie beobachteten musste. Ihre Mutter zitterte vor Schmerz und neue Tränen türmten sich in ihrem Blick.

„Du bist verrückt, Estelle. Du brauchst Hilfe."

„Nein, Mutter. Du brauchst Hilfe", hauchte sie als sie die Autotür zuschlagen hörte. "Genauso wie er."

Jetzt riss ihre Erzeugerin die Augen auf und wollte auf die Beine springen, doch sie war schneller. Sie rammte ihrer Mutter das Messer in den Oberschenkel, dass sie schon in den Bund ihrer Hose gesteckt hatte und hörte sie keuchen. Da war sie wieder - die Musik. Ihr Gesicht verzog sich automatisch zu einem Lächeln, als sie hörte, wie ihre Falle auslöste und sie durch das Glas der Tür sah, wie ihr Erzeuger zu Boden ging. Sie hatten sie unterschätzt.

„Ich würde es stecken lassen, Mutter. Es steckt in deiner Schlagader, wo die ist weiß ich mittlerweile sehr genau. Wenn du es rausziehst, wirst du ganz schnell verbluten. Du willst doch nicht sterben, oder?", erklärte sie ruhig und erhob sich, um ihren Vater ins Haus zu ziehen.

„Was hast du vor, Estelle?"

„Feiern, Mutter. Ich bin nicht krank. Ich bin mächtig und das werdet ihr heute lernen. Bis zum Tod. Aber vorher feiern wir."

*

„Ein blutiges Drama ereignete sich in unserem idyllischen Städtchen, bei dem Jack und Irene Adler einem unbekannten Angreifer zum Opfer gefallen sind. Einzig ihre ebenfalls verwundete 17-jährige Tochter überlebte den Überfall und wird derzeit im Hospital aufgrund ihrer Verletzungen behandelt. Diese war es auch, die weinend und panisch den Rettungsdienst rief, doch für ihre Eltern kam jede Hilfe zu spät. Sie hatten beide schwerwiegende Verletzungen, die auf bestialische Folter hinweisen, mutmaßlich um Informationen zu erpressen. Bisher gibt es nur Spekulationen, was das Motiv des Täters betrifft. Doch laut eigener Aussage war die Tochter später dazugestoßen und hatte den Angreifer nach einem kurzen Kampf vertrieben. Die Polizei fahndet auf Hochtouren nach dem maskierten, etwa 1,82 m großen Mann, der..."

Sie schaltete den Fernseher aus und grinste stolz. Sollten sie den Angreifer suchen, den die Nachbarn ebenfalls um ihr Haus schleichen hatte sehen. Schon praktisch, wie notgeil Jungs in ihrem Alter waren. Nur das Versprechen, sie würde mit Chad ficken, hatte ihn bewogen, sich seinen schwarzen Hoodie anzuziehen und um ihr Haus zu schleichen. Um ihn würde sie sich als Nächstes kümmern, schon heute Abend, denn sie würde in der nächsten Stunde entlassen werden.

Niemand hatte Verdacht geschöpft: Ein Vorteil, wenn man wie eine Bilderbuchfamilie wirkt und gelernt hat, Emotionen glaubhaft darzustellen. Doch Chad war ein potentielles Risiko und sie hatte doch erst angefangen. Vielleicht quälte sie ihn weniger, denn sie mochte ihn irgendwie - so süß naiv, wie er mit seinem Schwanz dachte. Sie würde es wie einen Selbstmord aussehen lassen, überlegte sie voll Vorfreude. Da musste sie sich ohnehin zurückhalten und erneut rieselte Macht durch sie, als sie daran dachte, wie seine Eltern sich wohl quälen würden. Das würde ihr Lohn werden. Sie war keine Bestie - nur schlauer und mächtiger als der Rest und das würde sie ihnen zeigen.

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Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now