Das Foto

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"Du bist echt das Letzte!"
"Echt widerlich!"
"Bist du SO verzweifelt?"
"Du siehst aus, als dürfte jeder mal..."
"Schämst du dich gar nicht?"
Sie schluckte, als sie die Nachrichten las, die sich in ihrem Messenger türmten. Angeblich hatte sie heute einem Klassenkameraden schöne Augen gemacht. Der eine Freundin hatte. Sie hatte nur mit ihm in der Gruppenarbeit zusammen arbeiten müssen. Der Lehrer hatte das bestimmt.
Sie ging nochmal ihre Erinnerungen durch. Sie hatte nicht geflirtet. Sie wüsste auch gar nicht, wie das gehen sollte. Denn so einen richtigen Freund hatte sie noch nie gehabt.

Ihre social Media Accounts sahen nicht viel anders aus. Auch da wurde alles niedergemäht, was sie teilte. Und wenn es ein beschissenes Katzenvideo war. Und das alles nur wegen der bescheuerten Party und Hannes! Seit das Foto gepostet worden war, ging das so. Auf dem Doros Freund ihr offenbar etwas ins Ohr flüsterte, während sie ihn verliebt anlächeln würde.
Dabei war das ganz anders gewesen! Dummerweise hatte das Bild auch eingefangen, wie Hannes' Hand in Höhe der Brust der Neuen war. Das zwischen der und seinen Fingern mindestens 15 Zentimeter gelegen hatten, interessierte anscheinend nicht. Er hatte nur gestikuliert, während er ihr wegen der lauten Musik ins Ohr gebrüllt hatte. Er hatte sie erkannt, weil ihr Vater seit kurzem den hiesigen Fußballclub trainierte. Zu dem hatte sie ihren Pa begleitet, um beim Training zuzusehen. Deswegen hatte er sie angesprochen.

Anfangs hatte sie gehofft, Hannes würde das klarstellen, weil er ja bestimmt auch Ärger mit seiner Freundin bekommen hatte. Bis sie die Nachricht bekommen hatte, zu ihrem Glück hätte Doro ihrem Freund den Fehltritt verziehen. Aber von welchem Fehltritt sprachen die? Wieso glaubte ihr denn keiner? Sie hatte gedacht, dass er ihre Beteuerungen stützte. Stattdessen hatte er ihr auf dem Schulflur und in der Pause zugezwinkert. Sie hatte im Augenwinkel gesehen, wie seine Kumpels ihm anerkennend auf die Schulter geklopft hatten. Was Hannes offenbar gefallen hatte.

Er war also jetzt der große Hecht, der die schüchterne Sabrina angegraben hatte, die ohnehin in ihn verknallt war. Ok, das war gar nicht so falsch. Sie hatte ihn wirklich toll gefunden. Wie so ziemlich jedes andere Mädchen in ihrer Stufe auch. Bevor dieses Foto erschienen war, hatte sie tatsächlich davon geträumt, dass er sie vielleicht bemerken würde. Doch dann hatte sie gesehen, dass er eine Freundin hatte und damit war der Käse geritzt gewesen. Keine Chance. Aber die hätte sie ohnehin nicht gehabt. Was jetzt egal war. Sie hätte nicht zu dieser Party gehen sollen.

Sie hatte sich so gefreut, dass sie überhaupt zu Kathis Party einladen worden war. Sie hatte gemeint, endlich würde sie Anschluss finden. Also hatte sie ihre Eltern überredet, dorthin gehen zu dürfen. Sie war überrascht gewesen Hannes dort zu sehen, immerhin war er zwei Stufen über ihr. Doch als sie bemerkt hatte, dass der Kathis Bruder war, hatte sie es begriffen. Er wohnte einfach nur da. Doro - seine Freundin - hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht gekannt. Nur so vom Sehen eben. Jetzt warf die ihr böse Blicke zu, stellte ihr schon mal ein Bein auf dem Flur und lachte sie dann aus, wenn sie fast darüber fiel. Oder zischte ihr zu, sie sei eine Bitch und solle bloß die Finger von ihrem Liebsten lassen. Als hätte sie nach der ganzen Geschichte Bock, sich noch mit ihm auseinanderzusetzen. Doch bis zu dieser Party hatte sie nie mit irgendeinem der beiden ein Wort gesprochen.

Das hätte Hannes auch so belassen sollen. Dann wäre sie jetzt fein raus. Nur die Tatsache, dass er sie gebeten hatte, mit ihrem Pa über die Strafversetzung auf die Reservebank zu sprechen, hatte das Ganze ins Rollen gebracht. Und während er sich in seiner Rolle als Frauenheld so wohl fühlte, bekam sie den ganzen Hass ab. Sie hatte doch nicht gewusst, dass Hannes und Doro das Traumpaar der Schule waren! Außerdem hätte sie nie in eine Beziehung eingegriffen, selbst, wenn sie eine Chance gehabt hätte!

"Schlampe!", leuchtete wieder auf ihrem Display auf und ihre Brust zog sich noch mehr zusammen.

"Hey, du machst es doch mit jedem... Wann kann ich vorbeikommen? Wirst es nicht bereuen", stand da als nächstes und als sie die Reaktionen der Anderen in ihrer Lerngruppe las, brach sie in Tränen aus.

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now