Aufbruch

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Aufregung flutete sie genauso, wie Angst. Sie wusste nicht, was sie erwarten würde, wie sich die Zukunft entwickeln würde. Sie ließ immerhin so vieles zurück, was sie kannte und ihr auch eine gewisse Sicherheit gegeben hatte. Aber sie hatte sich zu diesem Schritt entschlossen und es gab kein Zurück mehr. Nicht für sie. Sie hatte sich die Entscheidung nicht leichtgemacht. Monatelang hatte sie überlegt, ob sie das wollte, ob es ihr Leben bereichern würde oder ob es nur eine fixe Idee war, die sie aus der Monotonie des Lebens reißen sollte.

Nächtelang war sie wachgelegen und hatte darüber nachgedacht, ob das wirklich das Richtige war. Aber letztlich war immer wieder in großen Neon-Lettern in ihrem Kopf aufgeleuchtet, dass sie so nicht weitermachen konnte. Sie wollte mehr und wahrscheinlich hatte sie das auch verdient. Sie hatte verdient wirklich glücklich zu sein, oder? Also hatte sie es gewagt, hatte alle Unwägbarkeiten so gut berechnet wie es möglich war und war einen Schritt nach dem nächsten gegangen.

Sie konnte sich weiterhin die teilweise fassungslosen Mienen aus ihrem Umfeld vergegenwärtigen. Auch sie betraf diese Entscheidung, auch für ihre Liebsten würde sich einiges ändern. Das hatte ihr die Entscheidung besonders schwer gemacht. Sie wollte niemanden enttäuschen. Aber es war Enttäuschung in ihre Blicke geschlichen und sie war mehr als einmal drauf und dran gewesen, ihren Entschluss nochmal zu ändern.

Aber letztlich hatte sie sich dazu durchgerungen, denn sie wollte keine Zeit mehr vergeuden. Es kam ihr so vor, als hätte sie die letzten Jahre in einem Hamsterrad verbracht, ohne auch nur einmal Luftholen zu können. Sie hatte einfach still und leise die Anforderungen ihres Alltags erfüllt, aber die Luft um sie herum war immer dicker geworden und jeden Tag hatte sie ein bisschen mehr Mühe gehabt, genug Sauerstoff in ihre Lunge zu pumpen.

Plötzlich war dann der Gedanke da gewesen, dass sie so nicht weitermachen konnte, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte zu ersticken. Es waren nervenaufreibende Monate gewesen, bis sie sich zugestanden hatte, dass ihr Dasein sie nicht glücklich machte. Dass sie sich mehr wünschte als das, was sie hatte. Dann waren noch weitere vergangen, bis sie ihre Wünsche so formulieren konnte, um an ihre Liebsten heranzutreten und ihnen mitzuteilen, dass sie die Absicht hatte, ihr Leben zu verändern.

Erst danach hatte sie sich darauf konzentrieren können, die Vorbereitungen zu treffen und dadurch waren nochmals Wochen zu Monaten geworden. Sie war hin und hergerissen gewesen zwischen Euphorie und dem Gedanken, dass sie bescheuert war und sich mit dem zufriedengeben sollte, was sie hatte. Und heute war es soweit. Sie stellte die letzte Tasche in ihren Wagen und sah sich nochmal um.

Jetzt gerade wurde ihr das Herz ein bisschen schwerer. Es waren nicht nur schlechte Zeiten hier gewesen. Auch gute. Viele gute. Die hatten sich ebenso in ihr Gedächtnis gebrannt wie die, in denen sie gehadert hatte. Trotzdem vibrierte ihr Körper vor Erregung, Vorfreude und Ungeduld. Sie wollte es tun. Jetzt.

"Mimi, bist du so weit?", fragte Angie hinter ihr und sie zwang sich, den Blick von der Fassade des Hauses zu lösen, in dem sie so lange gelebt hatte.

"Ja", flüsterte sie und stieg zu ihrer besten Freundin in den Wagen, die ihr einen besorgten Blick zuwarf, ehe sie den Wagen startete und losfuhr.

Mit jedem Meter, den sie zurücklegten, spürte sie, wie ihr Herz brach, während sich ihr Puls beschleunigte. Ihre Hände waren plötzlich ganz feucht. Sie wollte lachen und gleichzeitig heulen. Sie hatte es getan. Sie war aufgebrochen in ihr neues Leben, fernab von allem, was sie kannte und was sie ausgemacht hatte.

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Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now