Die Begegnung

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Er saß im Bus und starrte missgelaunt aus dem Fenster. Heute war nicht sein Tag, so viel konnte er schon mal sagen. Im Grunde war es nicht seine Zeit. Schon seit einer Weile. Es war, als würde er in dem Morast feststecken, der sein Leben ausmachte. Aber er hatte auch keinen Elan, daran etwas zu ändern. Wozu auch? Immer, wenn er dachte, es würde besser werden, warf ihn wieder irgendwas zurück.

Er war so frustriert und hatte oft so eine Wut im Bauch, dass er oft aus der Haut fahren wollte. Das merkte auch jeder in seinem Umfeld, weswegen sie ihn zusehends mieden. Konnte er auch verstehen. Er würde sich auch nicht mit ihm an einen Tisch setzen wollen. In seine miesgelaunten Gesichtszüge sehen und seine sarkastischen Antworten hören. Er gab sich ja Mühe, dem Einhalt zu gebieten. Aber das war nicht leicht. Er hing irgendwie in der Vergangenheit fest.

Manchmal lag er morgens im Bett und fragte sich, ob er überhaupt schon wieder so weit war, aufzustehen. Dann überkam ihn der Schmerz aufs Neue in Wellen und er hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Es war nicht fair. Das hätte nicht passieren dürfen. Niemals. Er vermisste ihn immer noch. Er war doch schon immer Teil seines Lebens gewesen. Und jetzt war er es nicht mehr. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Weg. Es war, als hätte man mit seinem Sarg auch gleich seine Lebensfreude begraben. Woran alles andere gelitten hatte im letzten halben Jahr, seit er diesen Anruf bekommen hatte, der ihm den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Er hatte nicht geahnt, wie wichtig er ihm gewesen war.

'Und du Arsch hast es ihm nie gesagt!', schrie es in ihm und er zuckte zusammen, als etwas hart gegen seine Brust knallte.

Er starrte auf den dicken Wälzer, der auf seinem Schoß gelandet war und hörte ein leises Räuspern. Er hob den Kopf und sah in grün-graue Augen, die hinter einer Nickelbrille steckten. Die Brille saß auf einer kleinen Stupsnase, die von kleinen Sommersprossen umzingelt war. Diese hoben sich trotz der geröteten Haut ab, auf der sie sich tummelten.

"Äh, Entschuldigung. Konnte ich nicht mehr halten. Wegen der Bremsung. Äh, hast du dir wehgetan?", fragte sein Gegenüber und er konnte nur den Kopf schütteln.

"Darf ich?", fragte die junge Frau, die nun nach dem Buch griff, das sich weiter auf seinem Schoß befand.

"Äh, ja, äh, klar. Ich bin Felix", sagte er und fragte sich, wieso er das sagte.

'Sag irgendwas Witziges', schoss ihm durch den Kopf, während er bemerkte, dass die junge Frau so gar nicht seinem Typ entsprach.

Er bevorzugte etwas anderes. Kurze Röcke, die lange Beine und einen Knackarsch betonten, fand er toll. Zumindest seit kurzem. Hirn mussten sie nicht haben. Wozu? Lohnte sich nicht, für die paar Stunden, in denen er sich mit ihnen umgab. Er hatte beschlossen, dass er alleine besser dran war. Also, abgesehen von den paar Leuten, die es noch an seiner Seite aushielten, seit sein bester Freund aus Kindergartentagen sich so unverhofft aus seinem Leben verabschiedet hatte. Kurz darauf war auch Jasmin verschwunden. Weil sie genug von ihm gehabt hatte. Von seiner Trauerfresse. So hatte sie das genannt. Aber er hatte nicht einfach so darüber hinweggehen können, dass der Mann, der für ihn mehr Bruder als Kumpel gewesen war, so plötzlich aus seinem Leben verschwunden war. Es tat immer noch weh. Es gab so vieles, was er ihm erzählen wollte.

"Heißt 'Felix' nicht 'der Glückliche'?", fragte die junge Frau mit der ausgebleichten Jeans, dem Schlabbershirt um die etwas zu weibliche Figur und den wilden Locken, die sie notdürftig mit einem Haarband gebändigt hatte und die einen Stapel Bücher auf dem Arm hielt, während eine prall gefüllte Tasche an eben jenem hing.

"Wie?", erkundigte er sich verwirrt und sie zuckte mit den Schultern.

"Weil du so verkniffen dreinsiehst. Das mein ich. Ich dachte, Felix heißt 'der Glückliche' und du siehst nicht glücklich aus", stellte sie fest und er runzelte die Stirn.

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now