Freundinnen

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Daria grinste, als sie Marlene sah. Sie hatten sich schon länger nicht mehr gesehen, sondern nur telefoniert. Genau deswegen hatten sie sich beide bei ihren langen Gesprächen so auf dieses Treffen gefreut. Einfach mal nur sie Weiber. Ohne geliebte Anhänge. Sie waren beide beschäftigt. So war das einfach im Alltag. Jede von ihnen hatte einen Partner, Kinder und einen fordernden Job und da war die Zeit rar, um die Entfernung zu überbrücken, um sich mal wieder persönlich in die Arme schließen zu können.

Jedes Mal, wenn sie es schafften, pochte Darias Herz wie wild, fast, als wäre sie frischverliebt. Auch wenn diese Liebe rein platonisch war, war sie doch einer der Grundpfeiler in ihrem Leben. Mit Marlene konnte sie alles teilen. Ihre tiefsten Empfindungen. Sie konnte sich ihrer Freundin sowohl stark, als auch verletzlich zeigen. Mehr noch als ihrem Mann. Der dachte einfach nicht wie eine Frau. Das war einfach so, dafür konnte er nichts. Er war mit einem anderen Wertesystem und Gedankenkostüm großgeworden. Und Himmel! Oftmals waren es ja auch die eigenen Männer, über die sie sich austauschten.

Jede von ihnen hatte schon mal eine Krise mit Mann und Kindern gehabt und gerade dieser Austausch hatte geholfen, wieder klarzusehen. Sich darauf zu besinnen, was man wollte oder eben nicht. Wie man eine Botschaft an den Liebsten übermitteln konnte, ohne zu verletzen und trotzdem zu erklären, wieso dieser Fakt so wichtig war. Wie oft war es genau Marlenes Blickwinkel auf die Dinge gewesen, die ihr die zündende Idee gegeben hatte, wie sie ein Problem lösen konnte? Unzählige Male! Wie oft hatte sie dieser ihr Herz ausgeschüttet und ihre Vertraute hatte ihr erst zugehört und hatte sich dann mit dem auseinandergesetzt, was sie so betroffen gemacht hatte? Sie konnte es nicht zählen.

Aber danach war es immer besser gewesen. Teils, weil sie offen und ohne etwas zu beschönigen sprechen durfte, ohne dafür verurteilt zu werden und andererseits, weil Marlene mit ihrer Sicht der Dinge ihr immer verdeutlicht hatte, dass jedes Problem lösbar war. So war schon manches Gespräch, das sie heulend begonnen hatte in einem Wohlgefühl und Lachflash aufgelöst worden. Das konnte ihre Freundin. Sie wieder auf den Boden holen und ihr zeigen, wie toll das Leben war.

Mit ihr konnte sie herrlich albern sein und dem Kind in sich genauso Raum geben, wie der Erwachsenen, die ständig Entscheidungen treffen musste. Wie das eine Mal, als sie sich getroffen hatten und plötzlich einen Milchshake gewollt hatten. Sie waren zu einem Schnellrestaurant gelaufen und hatten beschlossen, dass sie sich nicht hineinsetzen wollten. Sie wollten einfach für sich bleiben. Sie waren sich selbst genug. Sogar hineinzugehen, ihre Bestellung abzugeben und wieder hinauszuspazieren war ihnen zuwider gewesen. Also hatten sie sich in die Autoschlange des Drive-Ins gestellt und Marlene hatte die ganze Zeit einen laufenden Motor imitiert, während ihr vor Lachen die Tränen über die Wangen gelaufen waren. Am Fenster, an dem sie ihre Shakes entgegennehmen konnten, hatte ihre Freundin auch prompt so getan, als müsse sie erst die Scheibe herunterkurbeln, um die Getränke entgegennehmen zu können. Das ging nur mit ihr.

Genauso wie sie auch nie mit jemand anderem über die grüne Fußgängerampel springen würde, als wären sie Frösche. Quakend und kichernd, wegen der irritierten Blicke der anderen, nur um sich auf der anderen Straßenseite giggelnd in den Armen zu liegen und im nächsten Moment über die politische Lage zu diskutieren. All das war Marlene. Und noch so viel mehr. Ob sie ihr das schon mal gesagt hatte? Dass diese Verrücktheiten ihr genauso viel bedeuteten, wie die leisen Töne, die man in einer Freundschaft ansprach?

„Hey! Gewitterwolken über deinem Kopf! Wieso das? Gerade hast du noch so schön gestrahlt! Wie die Sonne, die durch die trüben Wolken bricht an diesem diesigen, ungemütlichen Spätherbsttag. Rück's raus!", begrüßte Marlene sie und sah sie besorgt an, ehe diese sie fest in die Arme schloss.

Sie atmete deren typischen Parfümgeruch tief ein und murmelte: „Mir geht's gut. Jetzt noch besser. Du bist da. Danke, dass du da bist. Immer. Ich sag dir das viel zu selten."

Jetzt huschte Verwunderung über Marlenes feingeschnittenes Gesicht, ehe sich darauf ein Grinsen ausbreitete und sie erklärte: „Und ich dachte schon, es wäre was Ernstes... Komm, lass uns gucken, was wir heute machen und ob wir diesmal für unsere Albernheiten Applaus bekommen..."

„Bestimmt. Ich hab einen Plan", erklärte Daria und grinste breit, als Marlenes Augen vergnügt aufblitzten und ihre Freundin den Kopf in den Nacken warf und loslachte.

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt