Ich liebe dich, darum geh ich nun

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Sie beobachtete ihn nun schon seit einer Weile. Wie er immer mehr von ihr wegdriftete. Er funktionierte nur noch, war nicht mehr da. Nicht mehr richtig. Sie merkte es, weil ihr Herz nochmal brach. Jeden Tag splitterte ein kleines bisschen davon ab. Jede Sekunde in der sie spürte, dass er lieber woanders wäre. Egal wo, Hauptsache nicht bei ihr.

Das war deutlich in jeder hingemurmelten Antwort, jedem Blick, der durch sie hindurchführte, und jeder halbherzigen Berührung. Es wurde Zeit, sich von ihrem Traum zu verabschieden. An ein Leben mit ihm bis ans Ende ihrer Zeit. Es war egal, dass der Gedanke ihr die Luft aus der Lunge presste, sodass sie dachte, sie müsse dabei ersticken.

Sie hatten beide mehr verdient. Das war ihr bewusst. Aber das hieß nicht, dass es weniger schmerzte. Es zerfetzte sie innerlich.

„Dann bis heut Abend, Schatz", sagte er und sie nickte, als er ihr einen Kuss auf die Wange gab, der eigentlich schon daneben vorbei war und eher ihr Haar traf.

Kurz darauf knallte die Wohnungstür ins Schloss und sie erhob sich schwerfällig aus dem Stuhl vor dem Esstisch, auf dem ihr nahezu unberührtes Frühstück zurückblieb. Sie hatte das Gefühl, als würde sie Betonschuhe haben, während sie einen Fuß vor den anderen setzte. Doch es war richtig. Das musste sie sich vor Augen führen. Daran musste sie sich festhalten. Reisende durfte man nicht aufhalten und er war schon vor langer Zeit losgereist.

Sie hatte sich für heute kurzfristig freigenommen, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Aus der Schale in der Diele fischte sie ihre Schlüssel und erstarrte, als ihr sein Lächeln von dem Foto darüber entgegensprang. Das hatte damals noch ihr gegolten. Hastig wischte sie sich die Tränen von den Wangen, die an ihnen hinunterliefen. Es brachte nichts, um das zu weinen, was hätte sein können.

Sie schlüpfte aus der Wohnung und schlurfte zu ihrem Wagen, um die Kisten zu holen, die sie dort deponiert hatte. Sie wogen Tonnen und alles in ihr schrie gellend auf, während sie die Stufen im Schneckentempo wieder hinaufstieg. Sie gebot der Stimme in ihr Einhalt, die ihr sagte, dass sie das nicht überleben würde.

Denn sie liebte ihn so sehr. Mehr, als sie je jemanden geliebt hatte. Und genau deswegen musste sie ihn gehen lassen. Sie schlich ins Schlafzimmer und schob die Schranktür auf. Mit jedem Kleidungsstück, das sie hineinstapelte, wurde sie tränenblinder. Wie lange würde es wohl dauern, all die Splitter wieder aufzusammeln, in die sie gerade zerbrach? Würde sie sie jemals wieder an Ort und Stelle rücken können?

Nachdem der Schrank leer war, ging sie Schritt für Schritt durch ihre Wohnung, die ihr ein wunderschönes Heim gewesen war, solange es gedauert hatte. Sie packte, auf was sie nicht verzichten konnte und ließ den Rest stehen. Es war nicht wichtig. Dinge waren doch unwichtig. Die meisten jedenfalls. Immer wieder trug sie volle Kisten ins Auto. Eine Wagenladung im wahrsten Sinne des Wortes. Mit der würde sie neu anfangen und ihn gleichzeitig befreien.

Als sie alles hatte, was sie brauchte, legte sie den Brief auf den Esstisch. Er würde verstehen. Ihr Blick fiel auf ihren Frühstücksteller und sie nahm sich noch die Zeit, ihn abzuräumen und die Reste ihres Essens zu entsorgen. Zuletzt pfriemelte sie den Wohnungsschlüssel vom Schlüsselring und kurz musste sie sich an der Tischkante festhalten, weil sie dachte, sie würde jeden Moment zusammenbrechen, weil in ihr nur noch Schmerz war.

Doch dann fing sie sich und verließ die Wohnung, sie zog noch einmal die Tür ins Schloss und stieg zum letzten Mal die Treppe hinunter. Sie stellte sich vor, wie er die Wohnung betrat und aus Gewohnheit nach ihr suchte. Dann würde er den Brief entdecken und lesen:

„Hey, Schatz.
Ich danke dir, für all die Jahre, die du an meiner Seite warst.
Ich werde sie nie vergessen. Vergiss nie, wie sehr ich dich
liebe, aber mach dir keine Vorwürfe. Du hast Glück verdient,
genauso wie ich jemanden verdient hab, der mich liebt.
Auch, wenn ich daran noch nicht denken kann, ohne, dass
mein Herz sich auflöst. Es ist ok. Du bist jetzt frei, Dezemberkind.
Ich liebe dich, Finja."

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz