Der Schmetterling

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Wie schön es hier war! So bunt! Und es roch so gut! Sie mochte das wirklich! Deswegen war sie weggegangen. Auch, wenn sie das nicht gedurft hatte. Papa würde bestimmt schimpfen. Erstmal. Dann würde Papa sie in ihre Arme ziehen und ganz fest drücken. Wenn sie ihm dann erzählte, wie schön es hier war, würde er die Augen verdrehen und ein Lächeln würde an seinen Mundwinkeln ziehen.

Bevor er ihr übers Haar streichen und feststellen würde: „Ciara, du bist und bleibst meine kleine Abenteurerin."

Dann würde Papa sie nochmal streng angucken und sagen: „Aber alleine weglaufen darfst du trotzdem nicht."

Sie musste grinsen bei dem Gedanken. Ihr Papa war immer so, wenn die Abenteuerlust sie packte. Und sie war gar nicht so weit gelaufen. Sie hörte noch die Rufe der anderen Kinder vom Spielplatz. Ganz leise. Aber sie waren noch da. Sie war einem Schmetterling nachgelaufen. Der war so hübsch gewesen und sie hatte sich nicht an ihm sattsehen können. Wie der fliegen konnte! So leicht! Als könnte er schweben. Sie mochte Schmetterlinge.

Als sie noch in der Stadt gewohnt hatten, hatte sie nicht so oft einen Schmetterling gesehen. Auch wenn Mama und Papa oft mit ihr in den Park gegangen waren. Da waren auch so viele Blumen gewesen. Aber die hatten nicht so geleuchtet wie die hier. Und sie hatte sie auch nicht so riechen können. Weil in der Stadt viel mehr Autos fuhren, hatte Mama ihr erklärt. Sie hatte diese Ausflüge in den Park gemocht. Mama und Papa hatten mit ihr gespielt, bis sie ein anderes Kind entdeckt hatte, mit dem sie spielen wollte. Im Winter hatten sie Schneemänner und -frauen gebaut. Manchmal war noch genug Schnee gewesen für Schneekinder.

Aber irgendwann hatten sie nicht mehr in den Park gekonnt und dann waren sie hierher gezogen. Hier war ihr Zimmer größer, aber sie kannte noch keine Kinder. Die Schule würde bald anfangen. Dann war sie ein Schulkind und sie konnte es kaum erwarten. Papa hatte gesagt, sie wäre auch schon groß. Ob sie da eine Freundin fand? Ein Freund wäre auch ok. Sie konnte Jungs auch leiden. Papa sagte sowieso immer, an ihr sei ein Junge verloren gegangen. Sie wusste nicht, was das bedeutete. Aber er erzählte das immer, während er grinste. Also war es wohl in Ordnung.

Sie versuchte, den Schmetterling zu entdecken, während sie durch das Blumenmeer watete. Sie hatte ihn aus den Augen verloren. Obwohl sie wirklich aufgepasst hatte. Aber dann hatte sie den Hund streicheln müssen, der schwanzwedelnd an der Leine von der alten Frau gelaufen war. Sie hatte aber ganz brav gefragt, ob sie ihn streicheln durfte. Jeden Hund durfte man nicht streicheln. Manchmal mochten die keine Kinder. Aber Lola hatte sich gefreut. So hieß der Hund, sie hatte gefragt.

Plötzlich stob etwas im Augenwinkel auf und sie jauchzte, als sie entdeckte, dass es ihr Schmetterling war. Der, den sie doch verfolgt hatte. Sie beobachtete, wie er sich wieder auf den Weg machte. Wohin er wohl flog? Flog er zurück in den Himmel? Oder sammelte er noch Essen? Das machten Schmetterlinge doch bei den Blumen. Das hatte ihr Oma verraten. Oma wohnte jetzt bei ihnen, die hatte auch ein Zimmer. Das fand sie schön. Wenn sie nachts wach wurde und nicht mehr schlafen konnte, kroch sie zu ihrer Oma ins Bett. Die konnte am besten Tränen trocknen. Papa schlief wie ein Murmeltier, der war immer überrascht, wenn sie am nächsten Morgen an ihn gekuschelt neben ihm lag. Aber Oma konnte Tränen trocknen.

„Hey! Sei nicht so laut!", hörte sie plötzlich und drehte sich in die Richtung aus der das kam.

„Ich bin nicht laut", sagte sie automatisch und entdeckte ein anderes Mädchen am Boden sitzen, das konzentriert auf die Blume vor ihr sah.

„Was schaust du da an?", fragte sie und sah, wie der Schmetterling sich auf einen Busch setzte, an dem die Blüten in lila Stangen wuchsen.

‚Rispen, so heißt das. Sagt Oma', erinnerte sie sich und ließ sich neben das Mädchen ins Gras plumpsen.

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now