Die Ablenkung

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Ihr Herz klopfte am Limit und ihre Knie waren weich, während ihre Hände wohl eine eigene Schweißfabrik geöffnet hatten. Gleich würde sie ihn treffen: den Mann, der ihr in zahlreichen Telefonaten mit seiner wohlklingenden Stimme die Zeit vertrieben hatte. Mit dem sie scheinbar über Gott und die Welt sprechen konnte und der Verständnis dafür hatte, dass sie noch nicht wusste, wohin ihr gemeinsamer Weg gehen konnte.

Der Oberflächlichkeit genauso verabscheute wie sie und der ebenfalls der Meinung war, dass solche Dinge wie Liebe einfach wachsen mussten. Wie ein Pflänzchen, das man ins Beet setzte und goss, bis es seine Wurzeln in der Erde verankert hatte und dann unter der richtigen Pflege heranwuchs zu etwas wunderschönem. Das waren seine Worte gewesen und das hatte sie tief beeindruckt.

Er hatte es sogar geschafft, dass sie nicht mehr so oft an IHN denken musste - den Kerl, der ihr ein dümmliches Grinsen aufs Gesicht zauberte, sobald sie ein Lebenszeichen von ihm erhielt. Bei dem es kribbelte, weil sie sich so gut mit ihm unterhalten und so wunderschön lachen konnte. Bei dem sie sich frei fühlte, so zu sein, wie sie war. Aber daraus würde nie etwas werden, damit hatte sie sich abgefunden, denn es stand zu viel zwischen ihnen - deswegen das Date.

Sie merkte, wie automatisch ihre Brust wieder enger wurde und fragte sich, ob das fair war. Sich mit einem anderen zu treffen, während sie an IHN dachte. Hatte ihr Date ernstzunehmende Chancen oder machte sie ihnen beiden das nur vor, weil sie sich das wünschte? Immer wieder geisterte diese Frage in ihrem Kopf herum und hielt sie zusätzlich vom Schlafen ab. Ihr Date war ein netter Kerl und sie merkte auch, dass er sie auf Händen tragen würde.

Aber wollte sie das? So, wie er es gewohnt war, die Dinge zu handhaben? Stimmte das überhaupt, was er ihr erzählte? Immerhin wollte sich doch jeder paarungswillige Single auch fernab von Sex im besten Licht darstellen. Ihre Gedanken schwirrten schon wieder und das trug ihrer Entspannung nicht unbedingt bei, sondern verstärkte den Knoten in ihrem Bauch nur noch mehr.

Plötzlich war sie hin- und hergerissen von dem Wunsch zu flüchten oder zu bleiben. Sie fühlte sich nicht gut, irgendwie verpuffte die freudige Erwartung gerade. Sie spürte es bei jedem zittrigen Atemzug. Doch sie hatte ihre Chance verpasst, denn da bog ihr Date schon um die Ecke und trug das breiteste Lächeln zur Schau, dass man sich vorstellen konnte.

Sie erwiderte es automatisch, wenn auch deutlich zittriger und mit viel weniger Enthusiasmus. Das war falsch. Da war nichts! Kein Kribbeln, keine Freude mehr, nur noch das Gefühl, wegzuwollen. Als er sie in seine Arme zog, verstärkte sich diese Empfindung noch. Sie wollte nicht, dass er sie umarmte. Sie mochte Zärtlichkeiten, aber dazu musste sie schon etwas mehr Bindung an einen Menschen haben. Diese Erkenntnis traf sie wie ein Schlag, das hatte sie nicht gewusst. Doch jetzt spürte sie das.

Sie behielt krampfhaft ihr Lächeln bei, als ihr Date sich wieder von ihr löste und nach ihrer Hand griff. Doch in ihrem Kopf hallte es, dass sich das falsch anfühlte. Alles. Der Kerl, diese Begegnung und die Tatsache, dass er nach ihrer Hand gegriffen hatte, um seine Finger um ihre zu wickeln. Doch wie kam sie da jetzt wieder raus?

Bedauern flutete sie, als sie begriff, dass dieser Mann nicht der war, nach dem sie suchte. Er konnte noch so nett sein, aber für ihn schlug ihr Herz nicht. Er würde sich noch so anstrengen können, doch dieses dümmliche Grinsen würde er ihr nie entlocken können. Sie entzog ihm ihre Hand und sagte, dass sie das nicht wollte, was ihr Date offenbar geknickt hinnahm. Auch etwas, dass in ihr eher Beklemmung als Freude hervorrief.

Doch einfach stehen lassen wollte sie ihn nicht. Also würde sie jetzt mit diesem Mann einen Kaffee trinken gehen, um dann allein nach Hause zurückzukehren.

‚Du musst viele Frösche küssen, bis ein Prinz draus wird', erinnerte sie sich und merkte, wie es sie, allein beim Gedanken diesen Mann zu küssen, schüttelte.

Er war kein Prinz, so toll wie er war. Doch so viel war sicher.

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now