Das Leben des anderen

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Er verdrehte die Augen und unterdrückte das Kopfschütteln, während er beobachtete, wie sein Bruder schwungvoll mit dem Sportwagen auf einem der Parkplätze der Wohnanlage zum Stehen kam. Neben ihm saß Superbarbie, wie er dessen Frau insgeheim getauft hatte und als sie mit eleganten, fließenden Bewegungen aus dem Wagen stiegen, fielen ihm die bestimmt sündhaft teuren Klamotten von erstklassiger Qualität ins Auge.

Wie er das Posen seines Bruders verabscheute! Er wusste ja, dass dieser es zu etwas gebracht hatte. Das sagten ihm seine Eltern schon zu Genüge und auch sein Bruder ließ keine Gelegenheit aus, ihn daran zu erinnern, nur brauchte dieser keine Worte. Der zeigte es ihm, indem er in seinem Sportwagen vorfuhr, mit seiner supersexy, braungebrannten Frau, den teuren Klamotten und der blitzenden Golduhr an seinem Handgelenk. Oder den Einladungen in seine megaschicke Designervilla, mit dem Nobelporzellan und den Spitzenweinen, die zu erlesensten Speisen serviert wurden.

„Na, Mika? Wie ist es?", fragte sein Bruder und klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter, nachdem er ihn in seine Arme gezogen hatte.

„Ganz gut", erwiderte er automatisch und Danny nickte.

„Schön, das freut mich. Wo ist denn Josi?"

„Weg."

Jetzt zuckte Erstaunen über die Gesichtszüge seines Gegenübers, ehe er meinte: „Weg? Aber ich dachte, das wäre was Festeres?"

„Jaha. Dachte ich auch. Sie wohl nicht. Können wir das Thema beenden?"

„Natürlich. Tut mir leid, Mika."

Er warf Sonja einen Blick zu, deren Gesicht ebenso Mitgefühl ausdrückte, wie das seines Bruders und er unterdrückte diesmal das Augenrollen. Als würde ihn das über die Schmach hinwegtrösten, wieder einmal verlassen worden zu sein. Aber gut, er hatte ja auch nicht so viel zu bieten wie sein Bruder, da musste er schon einsehen, dass er das Nachsehen hatte.

„Es kommt bald bestimmt die Richtige", säuselte Superbarbie gerade und er sah sie zweifelnd an.

„Hm."

„Du siehst jedenfalls gut aus, Mika", erklärte sie weiter und sein Blick wanderte an sich herunter.

Sein Anzug kam von der Stange und nicht vom Schneider und er war auch nicht aus feinstem Material, sondern aus Poly-irgendwas. Das Hemd war auch nicht aus Ägyptischer Baumwolle, sondern schlicht vom nächsten C&A. Wollte Sonja ihn verarschen in ihrem Versace-Kleidchen? Vielleicht war es Chanel? Machte Chanel noch Kleider? Ihr Duft war jedenfalls von der französischen Schönheit, die die Mode- und Kosmetikbranche revolutioniert hatte.

Er hatte sich so einen Film mit Josi ansehen müssen über Gabrielle „Coco" Chanel, weshalb er all den Müll überhaupt wusste. Na ja, hatte auch nichts geholfen, dass sie ihn nicht verlassen hätte, oder? Da ihre Eltern auf sich warten ließen, wippte er auf seinen Beinen und ging nicht weiter auf Sonjas letzte Äußerung ein. Wozu? Er wusste, dass sie gelogen hatte, warum auch immer.

„Schon krass, dass unsere Eltern jetzt seit 50 Jahren verheiratet sind, oder?", vermeldete sein Bruder und er nickte.

„Ja, schon krass."

„Gelingt nicht mehr vielen", sagte Danny gedankenverloren und sein Blick ruckte zu seinem Bruder.

Das hatte wehmütig geklungen! Hoppla! Funkelte Sonja ihn an? Den Superbruder, dem alles gelingen wollte?

„Ja, weißt du, Mika, so ist es, wenn der Mann sich immer der Firma den Vorzug gibt und dabei die Frau aus dem Blick verliert!"

„Oh, äh, aha", machte er etwas überfordert und sein Blick flirrte zu Danny, der schwer seufzte.

„Ich habe dir gesagt, dass ich das ändere, wenn du mir die Chance dazu gibst."

„Das habe ich schon oft gehört, Daniel, und jetzt ist der Ofen aus, weißt du? Du änderst das für ein paar Monate, schenkst uns einen tollen Urlaub und denkst, damit wäre wieder eine Brücke über die Kluft gezimmert, die uns trennt. Aber so funktioniert das nunmal nicht!"

„Ich weiß, dass das falsch war, aber..."

Was zum Teufel lief hier ab? Der Nobel-Immobilienmarkler hatte eine Ehe-Krise? Sein Bruder? Der Strahlemann, dem stets die Sonne aus dem Arsch schien?

„Nichts aber, Daniel. Es ist vorbei. Lass uns einfach den Abend hinter uns bringen, damit deine Eltern nicht an ihrem 50. Hochzeitstag erfahren müssen, dass du zwar beruflich der Superhit bist, aber als Ehemann ein echt mieser Verlierer, der sich lieber in eine Affäre flüchtet, statt um seine anstrengend werdende Ehe zu kämpfen."

Autsch! Eine Ohrfeige hätte nicht wirkungsvoller sein können, zumindest sah sein Bruder so aus, als hätte sie ihn geschlagen. Wachte er gleich auf? Träumte er, dass Dannys Leben doch nicht so perfekt war, wie er angenommen hatte?

„Jetzt tu nicht so, Sonja! Als wüsste ich nicht, dass du dir ebenfalls Ablenkung gesucht hättest! Und hör verdammt nochmal auf, mir vorzuwerfen, ich hätte zu viel gearbeitet! Du hast dich zumindest über die ganzen Kleider und Reisen nicht aufgeregt, die ich dir ermöglicht habe!"

„Du wolltest mich doch immer nur kaufen!"

„Du hast dich kaufen lassen! Das macht dich zu nichts anderem als einer ..."

Klatsch! Mika schluckte heftig. Das passierte doch jetzt nicht gerade? Die fünf Finger auf der Wange seines Bruders verrieten jedoch das Gegenteil. Ansonsten war Danny alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Mika wusste gar nicht mehr, wohin er sehen sollte. Das war ihm dann doch unangenehm. Also ok, er war schon neidisch gewesen, was sein Bruder bisher verkörpert hatte, doch jetzt...?

„Weißt du was, Daniel? Du kannst mich mal! Ich verschwinde!"

„Das kannst du nicht machen, Sonja! Meine Eltern...", knurrte Daniel und seine offenbar NOCH-Schwägerin musterte seinen Bruder, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief.

„Ist mir egal, Daniel. Ich bin dir nichts schuldig. Erklär ihnen doch, dass dein äußerer Schein ganz schnell verblasst, wenn man länger hinter die Fassade schaut."

Damit wandte sie sich ab und angelte ihre Handtasche aus dem Sportwagen, die Mika tatsächlich als eine von Chanel identifizierte. Warum ihm das jetzt auffiel, begriff er nicht, aber er wusste auch nicht, was er zu der Szene von eben sagen sollte. Danny stand jedenfalls wie ein begossener Pudel neben ihm.

„Geld und Statussymbole machen also nicht glücklich, oder?", entfuhr ihm und sein Bruder musterte ihn.

„Nein, Mika. Machen sie nicht. Nicht auf Dauer."

Er nickte und klopfte Danny wohlwollend auf die Schulter. Aber so fies es war, er war jetzt erleichtert.

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now