Im rechten Moment

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Erwachseneninhalt!

„Oh, sieh dir nur mal wieder seine Klamotten an! Wie aus der Altkleidersammlung! Und dann dieser Gang dazu! Na, Goofy, hat dich deine Mama mal wieder angezogen? Süß siehst du aus mit deiner Cordhose und dem T-Shirt, das bestimmt schon fünf andere Menschen vor dir getragen haben! Hast du auch wieder deine supercoole Superhelden-Shorts an?"

Er biss sich auf die Innenseite seiner Wange und ging weiter den Schulflur entlang, während er sich gut zuredete, dass sie nichts anderes als Idioten waren, die keine Ahnung hatten. Die selbst so unsicher waren, dass sie auf ihm herumhacken mussten, um sich besser zu fühlen. Doch dieses Mantra wirkte immer weniger. Es wurde langsam Zeit. Er spürte, wie sich auch heute wieder die Wut in seinem Bauch sammelte und zwang sich, die Fäuste nicht zu ballen. Ihnen nicht zu zeigen, dass ihre Sprüche ihn trafen. So sollte er damit umgehen, das sagten ihm alle.

Doch er hatte immer öfter das Gefühl, er würde bald implodieren. Da half es auch nichts, dass die Sozialarbeiter sich jetzt um ihn kümmerten. Im Gegenteil. Seitdem war er noch mehr Opfer von versteckten Attacken. Was dachten die Sozpäds denn?!? Dass die aufhörten, nur weil sie sich in der Aula hingestellt und einen Vortrag darüber gehalten hatten, was Toleranz bedeutete?!? Sein Körper spannte sich immer weiter an.

Die waren genauso dämlich wie der Rest! Sie waren alle bescheuert und hatten keinen Plan, dachte er und betrat die Umkleidekabine, da nun Sportunterricht anstand. Sein Lieblingsfach. Also nicht. Doch es machte ihm ohnehin nichts mehr Spaß, was sich in der Schule abspielte. Alles war zur Tortur geworden, seit sie sich auf ihn eingeschossen hatten. Er sagte nichts dazu. Wozu? Damit sie sich über ihn lustig machten, weil er begonnen hatte, zu stottern?

Seitdem nannten sie ihn Goofy. Wie die scheißdumme Figur aus den Disney-Klassikern, die nichts gebacken bekam. Deren Imitation von dessen Lachen verfolgte ihn in seine Träume. Da half auch das gute Zureden seiner Mutter nicht, die ihm sagte, er wäre so ein lieber Junge und es würde alles wieder gut werden. Scheiß auf lieb! Er wollte ihnen die Mäuler stopfen! Immer mehr tobte die Wut durch seine Gedanken und er ballte nun doch die Fäuste. Sie würden doch sonst nicht aufhören, was also blieb ihm anderes übrig?!?

Er zog sich in die hinterste Ecke zurück, um seine Sportshorts überzustreifen und wieder spannte sich sein Körper an, als er die Blicke seiner Klassenkameraden spürte. Jaha, er wusste, dass er ein Spargeltarzan war. Da wo seine Mitschüler Muskeln hatten, war bei ihm nichts: Eine Hühnerbrust über einem flachen Bauch, die Arme viel zu lang.

Manchmal möchte er ihnen einfach allen eine Lektion erteilen! Aber er war doch ein lieber Junge, nicht wahr? Zumindest dachten sie das alle. Sie wussten nicht, dass er schon seit geraumer Zeit immer wieder Szenarien durch seinen Kopf spukten, wie er es ihnen zeigen könnte, dass er nicht das schwache Würstchen Goofy war, über das sich alle lustig machen konnten. In diesen Tagträumen würden sie ihn anflehen und dann war er derjenige, der ihnen entweder Gnade gewährte oder eben nicht. Ob sie sich in die Hosen pissen würden?!?

So, wie er es in jener Nacht getan hatte, als sie ihm im Schullandheim einen alten Kartoffelsack über den Kopf gezogen und ihn aus dem Bett gezerrt hatten, nur um ihn in einen Raum zu bringen, wo sich die Elite der Klasse versammelt hatte, um ihn zu demütigen? Wo sie ihn dafür verprügelt hatten, dass er den Fehler begangen hatte, sich in Leonie zu verknallen? Würden sie auch starr vor Angst werden, bis sie begreifen würden, dass sie sich den Falschen ausgesucht hatten, um ihre Spielchen mit ihm zu treiben?

Denn er war weder dumm wie Goofy, noch war er so verdammt wehrlos, wie er sich in dieser Nacht gefühlt hatte, dafür würde er sorgen. Ein falscher Ausweis und der Schwarzmarkt im Internet ... und sie würden ihn nie wieder mit der verkackten Comic-Figur vergleichen! Dafür würde er viel geben, viel lassen, viel... War ihm egal, alles war ihm egal. Er wusste nur, dass er kaum noch Luft bekam, sobald er das Schulgebäude betrat. Dass es ihn bis nach Hause verfolgte, eigentlich überall hin.

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now