Der Betrug

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"Woran denkst du?", fragte er und sah zu der Frau hinunter, mit der er sich nun schon seit über einem Jahr traf und die ihm mehr bedeutete, als sie es sollte.

Seit über einem Jahr trafen sie sich nun. Kennengelernt hatten sie sich auf einem Event der Firma, mit der sein Arbeitgeber Geschäfte machte. Er hatte den ganzen Abend kaum den Blick von ihr lösen können. Sie war die Sachbearbeiterin, die mit seinem Projekt - und damit mit ihm - betraut worden war. Sie hatte so schön ausgesehen und obendrein hatte sie auch noch Köpfchen. Sie hatten sich relativ schnell von dem Gerede über die Arbeit gelöst und einfach nur gequatscht. Er hatte schon da gemerkt, dass die Funken flogen. Sie hatten Nummern getauscht. Natürlich nur zwecks Arbeit. Zumindest hatten sie sich das eingeredet. Keiner von ihnen wollte wahrhaben, was passierte.

Doch seine Gedanken waren immer wieder zu der schwarzhaarigen Schönheit mit den sanften braunen Augen und dem kurvigen Körper gewandert. Auch abseits der Arbeit. Letztlich war es nach einem Geschäftsessen im ansässigen Hotel passiert. Statt nach Hause zu fahren, war er bei ihr auf dem Zimmer gelandet. Es war nicht geplant und jeder von ihnen hatte sich gesagt, das wäre nur ein Ausrutscher gewesen. Doch das war ein Irrtum. Seitdem trafen sie sich regelmäßiger. Alle zwei Monate verbrachten sie sogar ein Wochenende miteinander, an dem sie es selten aus dem Hotelzimmer schafften. Er würde sie gerne mal mit nach Hause nehmen. Aber er wusste, dass Amelia diese Grenze nicht überschreiten konnte.

Denn anders als er war sie verheiratet. Er hatte schon in Scheidung gelebt, als sie sich kennengelernt hatten. Doch Amelia hatte einen Mann und einen Sohn. Die sie nicht verlassen konnte. Offenbar. Denn sonst lägen sie jetzt nicht in einem Hotelbett, sondern auf seinem Sofa, in seinem Schlafzimmer oder wo auch immer. Nur nicht in einem Hotelbett. Seit einiger Zeit merkte er, dass ihre Beziehung an Leichtigkeit verlor. Wobei es NIE leicht gewesen war. Amelia hatte immer irgendwie Gewissensbisse. Was ja für sie sprach. Irgendwie. Aber andererseits...

"Ich kann nicht so weitermachen, Finn", flüsterte sie und sah ihm traurig in die Augen.

Sofort fing sein Herz heftig zu pochen an. Es war völlig klar, bei wem sie letztlich ihre Tage verbringen würde, wenn sie das hier beendete. Er wollte sie nicht verlieren. Dafür bedeutete sie ihm zu viel. Nicht nur der Sex. Der zugegebenermaßen gut war. Mehr als gut. Sie ließ keine Wünsche offen. Aber sie agierten schon lange nicht mehr nur ausschließlich auf dieser Ebene.

"Und das heißt?", krächzte er und wollte flüchten.

Er wollte nicht hören, dass sie ihn abschießen würde. Aber er konnte ja nicht davor davonlaufen. Irgendwann musste es so kommen. Es war ihnen beiden bewusst gewesen, dass es nur eine gewisse Zeit laufen könne. Im Grunde rechnete er bei jedem Treffen damit, dass Amelia das zwischen ihnen beendete. Was auch immer es für sie war. Für ihn war es mehr. Was er ihr gesagt hatte und da hatten sie zum ersten Mal gestritten. Amelia war daraufhin aus dem Hotel gelaufen und hatte ihn Stunden später angerufen, ob sie zurückkommen könne. Sie brauche ihn. Aber was hieß das? Brauchte sie ihn oder den Sex, den sie teilten? Die Gespräche, die sie führten? Was genau sollte sie schon von ihm brauchen?

"Dass ich nicht mehr lügen kann. Es tut mir weh. Er ist ein guter Mann, ich verletze und belüge ihn und das hat er nicht verdient", wisperte sie und alles in ihm brüllte, sich das nicht anzuhören.

Ihre braunen Augen bohrten sich in seine grünen und er strich sich durch seine ebenfalls dunklen Locken. Sie sah so bekümmert aus, dass ihm die Brust ganz eng wurde. Die Kehle auch, wenn er daran dachte, dass dies dann wohl das Ende war. Er musste den Kopf hochhalten. Er hatte es doch gewusst. Wieso traf es ihn dann so? Immerhin merkte er auch, dass er mit diesem Arrangement immer unzufriedener wurde. Zumindest im Alltag. Wenn sie nicht bei ihm war und er wusste, sie lag nachts neben ihm. Er tat ihm ja schon leid. War nicht so, als wäre ihm ihr Mann egal. Also doch schon. Aber er hatte Mitleid mit ihm. Trotzdem.

Hastig schob er den Gedanken an Amelias Mann beiseite. Er wollte sich nicht mit seinen Schuldgefühlen beschäftigen. Die er schon hatte, das konnte er nicht abstreiten. Aber jetzt gerade nervte es ihn gehörig, dass sie in seinen Gedanken herumgeisterten. Genauso wie die Schuldgefühle ihrem Sohn gegenüber. Der hatte das am allerwenigsten verdient. Er war nur ein Kind. Er stahl ihrem Sohn die Mutter. Immer wieder.

"Dann ist dieses Wochenende unser Ende?", brachte er mühsam heraus und bemerkte, dass sie die Stirn runzelte.

"Nein, das bedeutet nur, dass ich so nicht mehr weitermachen kann. Achim ist ein toller Vater und im Prinzip ist er auch ein toller Ehemann. Wir sind nur... Wir haben uns irgendwo verloren. Aber er hat es nicht verdient, dass ich ihn weiter anlüge, verstehst du?", sagte sie und er konnte nicht verhindern, dass sich leise Hoffnung in sein Herz stahl.

"Und das heißt?", erkundigte er sich und legte seinen Kopf auf ihre Schulter, an ihre Wange, die immer noch leicht gerötet war.

Sofort hüllte ihr Duft ihn ein. Wie ein warmer Kokon. Und sein Geruch. Ihr gemeinsames Gemisch, das nur sie beide zustande brachten. Er hörte, wie sie seufzte und die Arme um seinen Rumpf legte, ehe sie sich enger an ihn kuschelte. Noch mehr Hoffnung keimte auf. Er sagte sich, dass er vorsichtig sein musste. Sein Herz würde wahrscheinlich jeden Moment brechen. Dennoch. Das fühlte sich einfach nur gigantisch an.

"Hast du über Kinder nachgedacht?", fragte sie und er lehnte sich zurück, um ihr irritiert in die Augen zu sehen.

"Gibt es was, das du mir sagen willst? Du bist nicht schwanger, oder?", erkundigte er sich und sie zuckte mit den Schultern.

"Nein. Schwanger bin ich nicht. Das wäre im Moment auch schlecht. Achim ist ja sterilisiert", stellte sie fest und er rollte innerlich mit den Augen.

'Noch so ein Detail, das ich nie haben wollte', dachte er und hörte: "Das haben wir damals entschieden. Na ja, das war ok für mich. Ist es immer noch. Eigentlich. Ich frag aus einem anderen Grund. Ich will Achim reinen Wein einschenken, Finn. Er hat es nicht verdient, dass ich ihn weiter belüge. Ich liebe ihn und - scheiße! Man wirft auch nicht einfach so 14 Jahre weg, verstehst du? Wir haben uns ein Leben aufgebaut, einen Sohn, der gerade mal acht ist und all das. Das ist mir alles bewusst. Und es tut weh. So tief in mir fühle ich mich schlecht, weil ich ihn hintergehe. Weil ich nicht die bin, die er verdienen würde. Ich kann mir kaum mehr ins Gesicht sehen. Es wird immer schwerer, wenn ich von einem unserer Treffen zurück bin. Ich fühle mich wie eine Schwerverbrecherin. Ich will mich nicht mehr so fühlen."

"Es tut mir leid, ich verstehe immer noch nicht, worauf du hinaus willst. Du liebst deinen Mann. Verstanden. Du willst nicht mehr Lügen. Auch klar. Aber was heißt das jetzt für uns, Amelia? Würdest du jetzt bitte zum Punkt kommen?", erwiderte er und konnte sich nicht verkneifen, ein bisschen schärfer im Ton zu werden.

"Gleich. Was hältst du von Kindern?", wiederholte sie und er runzelte die Stirn.

"Wie du weißt, hab ich keine. Aber ich habe sie für mich nie ausgeschlossen. Warum?", fragte er verwirrt und als er Erleichterung in ihrem Blick sah, verdutzte ihn das noch mehr.

"Ich hab mir eine Wohnung gesucht. Mit Tobias. Aber ohne Achim. Er weiß es noch nicht. Ich... ich hab ein bisschen Angst vor diesem Schritt. Doch so weitermachen kann ich nicht, Finn. Das spüre ich deutlich. Es zerreißt mich innerlich. Macht mich unglücklich. Ich kann niemandem die Schuld dafür geben. Nur mir. Ich hab eine Familie zerstört. Aber ich kann es nicht mehr rückgängig machen", hauchte sie nahe seines Ohres und er nahm ihre Betroffenheit wahr.

"Es war nicht fair von mir, Achim gegenüber. Und dir gegenüber auch nicht. Ich dachte, ich könnte es wegschieben und es ging ja auch ziemlich lang, aber jetzt ist es vorbei. Ich werde Achim verlassen. Er soll eine Frau haben, die ihn so wertschätzen kann, wie er es verdient...", fügte sie an und sein Herz begann zu rasen.

"Heißt das, du wählst mich?", erkundigte er sich zögerlich und als sie sich zurücklehnte las er die Antwort.

"Ich weiß es nicht Finn. Ich wähle mich. Mit mehr bin ich erstmal überfordert. Ich muss jetzt an Tobi denken. Er wird seinen Vater vermissen und mich hassen. Das verstehe ich. Sehr gut. Aber ich weiß nicht, ob es unser Anfang sein kann oder unser Ende ist. Es tut mir leid. Ich wollte dir ebenso wenig wehtun wie Achim", gab sie kaum vernehmbar zu und er schluckte, als er die Tränen in ihren Augen sah.

Als die erste aus ihrem Gefängnis ausbrach, zog er sie zurück in seine Arme und küsste ihren Haaransatz. Er hatte gewusst, dass es endete. Er hatte nur gehofft, es käme nicht so schnell.

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Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now