Ein Märchen...

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Es war einmal...

Eine Autorin, die jede Woche das gleiche Problem hatte: Sie hatte versprochen, jede Woche eine Kurzgeschichte zu schreiben und es war ein Wunder, dass ihr das gelang. Oft saß sie vor dem leeren Blatt und es war, als würden plötzlich die Wörter einfach durch sie hindurchfließen, ohne, dass sie groß darüber nachdenken musste. Und das größere Wunder war: Irgendwie schaffte sie es, aus diesen Wörtern eine doch annehmbare Geschichte zu formen.

Doch eines Tages saß sie vor ihrem leeren Bildschirm und es wollte sich rein gar nichts tun. Nichts. Ihr Kopf war so voll und gleichzeitig so leer und kein einziger Fingertipp auf der Tastatur war hörbar. Still war es in dem Raum, in dem sie sonst ihre Geschichten schuf, die manch einer lesen wollte. Sie war verwirrt. Sonst klapperten die Tasten schon kurz nachdem sie sich auf den Schreibtischstuhl gesetzt hatte und sie geriet in einen richtigen Schreibflow - aber an diesem Tag? Nichts. Kein einziger Buchstabe.

Das hatte sie wahrlich noch nie erlebt, sie hatte doch sonst immer irgendwas zu erzählen! Also starrte sie minutenlang auf den nackten Bildschirm an dem ihr Cursor sie mahnend erinnerte, dass sie doch ein Versprechen zu halten hatte! Dass sie ihre Leser*innen nicht enttäuschen durfte und ihnen irgendwas kredenzen musste. Aber es wollte ihr nichts einfallen. Gar nichts. Je länger sie auf ihre tatenlosen Finger starrte, umso unruhiger wurde sie.

Irgendwann gab sie fassungslos auf und beschloss, sie würde sich jetzt irgendwie Inspiration beschaffen. Also hüllte sie sich in ihre Winterjacke, schnappte sich ihren Hund, der nicht sehr begeistert war, weil er die Kälte nicht mochte, band sich ihren selbstgestrickten Schal um, setzte die Mütze dazu auf und verließ das Haus. Sie lief durch das Viertel, in dem sie wohnte und in dem es heute unerträglich still war, obwohl sonst Kinder herumwuselten überall und es von Lachen und Schreien und manchmal auch Weinen nur so wimmelte. Doch heute? Nichts!

Verwundert schüttelte sie abermals den Kopf und lief mit ihrem Hund über weite Acker und festgefrorenen Boden, bis zum nahegelegenen Waldstück. Hier würde sie bestimmt Inspiration finden, dachte sie und tauchte in das satte Grün des Nadelwaldes ein. Ihr Hund warf ihr schon Blicke zu, die der Autorin zeigten, dass es ihm wirklich zu kalt war und sie jetzt auch langsam wieder nach Hause laufen konnten, aber sie ließ sich nicht davon beirren, dass ihr Atem kleine Wölkchen machte, wenn sie die Luft ausstieß. Ihr Hund war einfach eine kleine faule Prinzessin, die zwar schon gerne spazieren ging, aber eben nur dann, wenn es angenehme Temperaturen hatte. Schon beim kleinsten Regentropfen drehte ihr Hund an der Haustür wieder um und schlich wieder auf sein Kissen auf dem Sofa, um kurz darauf das schönste Schnarchkonzert zu geben. Aber an diesem Tag hatte der Hund keine Chance. Verzweifelt auf der Suche nach Inspiration lief die Autorin immer weiter - und der Hund trottete traurig hinterher, bis es ihm zu doof wurde. Er setzte sich mit seinem Hintern auf eine Wurzel und alles bitten und betteln half nicht, um die Hundeprinzessin wieder in Bewegung zu setzen.

Also seufzte die Autorin, nahm ihren - zum Glück kleinen - Hund unter den Arm und trug ihn nach Hause. Wo sich der Hund - natürlich, wie sollte es anders sein - auf das Kissen auf dem Sofa legte und kurz darauf hörte man ein monotones Schnarchen, als wäre der Hund einen Marathon gelaufen. Die Autorin verdrehte nur lächelnd die Augen, zog ihre Winterklamotten wieder aus und betrat die Küche, um sich mit einem Kaffee einen Wärme - und Koffeinschub zu holen, ehe sie wieder an den Schreibtisch verschwand. Sie wollte dieses Versprechen halten. Denn sie hatte es ja nicht nur den Leser*innen gegeben, sondern auch sich selbst. Doch erneut tat sich nichts. Irgendwann mahnte sie ihr Wecker, dass es Zeit war, ihren Jüngsten aus dem Kindergarten zu holen und sie schnaubte. Sie hatte wirklich NICHTS geschafft! Gar nichts! Das war ihr doch noch nie passiert!

Den Wecker hätte sie an diesem Tage im Grunde gar nicht gebraucht, sonst aber schon, denn sonst war sie tief vergraben im Land der Worte und Geschichten und da brauchte sie ein Signal, um wieder in die reale Welt aufzutauchen. Also zog sie sich wieder an und fuhr los, um ihren Nachwuchs aus dem Kindergarten zu holen und machte danach alles, was Mamas so taten: Sie spielte, tröstete, lachte, alberte, tadelte, schmunzelte, versorgte und vieles mehr. Nur so ganz war sie nicht mit dem Kopf dabei. Immerhin hatte sie sich und anderen ein Versprechen gegeben! Versprechen hielt man! Das brachte sie doch auch ihren Kindern bei!

Als sie dann also ihren Nachwuchs ins Bett gebracht hatte, setzte sie sich wieder vor diesen vermaledeiten leeren Bildschirm und plötzlich grinste sie. Sie haute in die Tasten, dass diese fast zu glühen anfingen und hatte dabei das breiteste Grinsen, dass mensch sich vorstellen konnte. Denn sie hatte nun endlich ihre Inspiration! Sie schrieb ein Märchen über eine Autorin, die keine Inspiration hatte! Leise kichernd, schloss sie dieses ab und schrieb:

Und wenn sie nicht gestorben ist, dann kichert sie noch heute. :D

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now