Der Tanz mit den Reimen

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Seine Hände waren ganz schwitzig geworden, nun, da sein Auftritt jede Minute losging. Das war sein erstes Mal. Vor Publikum. Auf einem Poetry-slam. Mit einem seiner Werke. Er hatte die Hosen voll. Die vor ihm waren echt stark gewesen und er war hier wahrscheinlich total fehl am Platz. Es war eine spontane Idee gewesen. Er hatte das nicht durchdacht. Er sollte seine Darbietung absagen oder sich einfach verpissen.

'Aber würdest du im Nachhinein, die verpasste Gelegenheit nicht missen?', fragte er sich und verdrehte automatisch die Augen.

Reime. Er liebte sie. Im Grunde suchte er ständig reflexartig nach Worten, die sich reimten, wenn er sprach. Was ihn manchmal zum Gespött machte, aber ab und zu freute sich jemand darüber. Seine Gedanken jedenfalls reimten sich oft und ab und an, nahm er einen Stift zur Hand und schrieb sie auf. Deswegen hatte er sich angemeldet. Aber wenn er den anderen so zuhörte, sollte er besser gehen.

"Als nächstes kommt Georg. Kein Künstlername. Nur Georg", rief ihn der Moderator auf die Bühne und er schluckte.

'Scheiße, das war nicht sehr weise. Nun hebst du dich schon hervor, weil du dir keinen coolen Namen gegeben hast, du Thor", hallte es in seinem Kopf und er merkte, wie er noch nervöser wurde. Das konnte nur in die Hose gehen, oder? Wie sollte er anfangen? Die anderen hatten nichts abgelesen, so wie er das geplant hatte. Er hätte sich vielleicht vorher ein paar poetry-slams ansehen sollen. Dann hätte er gewusst, wie das läuft.

'Mist! Egal, jetzt ist es, wie es ist. Im schlimmsten Fall kannst du dich nur blamieren, fällst raus aus der Gruppe aus den vieren', sprach er sich selbst Mut zu und blinzelte ins Scheinwerferlicht.
Zumindest konnte er das Publikum nicht erkennen. Das machte ihm die Sache leichter. So konnte er sich nur aufs Reimen konzentrieren...

"Hi, ich bin der Georg, wie ihr schon wisst.
gerade wünschte ich, ich hätt mich doch verpisst.
Doch ich bin keine feige Made
und wünsche mir dafür eure Gnade.
Darum, Leute, steh ich hier,
zusammen bildet das ein Wir.
Wobei wir schon beim Thema wären,
das ich will euch nun erklären:
Gesellschaft ist kein Du oder ich,
kein Er oder sie oder irre ich mich?
Gesellschaft ist ein großes Ding,
von der ich gerad ein Liedchen sing.
Zu uns gehören alle Leute,
ob groß, ob klein, alle zählen heute.
Egal, woher sie sind, woran sie glauben,
müssen wir die Ansichten abstauben.
Ob homo, hetero oder trans,
wir alle machen die Gemeinschaft ganz.
Doch ich will euch nicht weiter auf den Geist gehen,
ich will nur, dass alle das verstehen.
Ihr habts geschafft - hier kommt die Wende
und ich bin auch schon fast am Ende.
Zwei Dinge muss ich hier noch sagen
und Mut sammeln, um es zu wagen.
Das eine ist: die Welt ist bunt,
geht hinaus und tut es kund.
Das andere ist, mein Herz schlägt schnell:
Mama, Papa, ich bin homosexuell.
Ich liebe einen anderen Mann,
ich wollts euch sagen - irgendwann.
Ich wähle heute meinen Tanz mit dem Reim
und hoffe, ihr seid damit fein."

Er zitterte am ganzen Körper, weil Stille herrschte und er so bescheuert nervös war. Aber irgendwie war es eben doch wichtig, wie das Publikum auf seinen Reim reagierte. Auf seine Offenbarung. Als plötzlich rasender Applaus losbranntete, wurde ihm schlagartig leichter ums Herz. Er verneigte sich kurz und lief wie in Trance von der Bühne. Zu seinen Eltern. Zu Jo. Den er als Kumpel vorgestellt hatte und der jetzt als das mit ihnen die Veranstaltung verließ, was er war: seine erste große Liebe.

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Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now