Der Verdacht

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„Hi Schatz, sorry, es wird wieder später. Ich weiß, wir wollten heute zum Essen gehen, aber dieses Projekt ... Die Abgabefrist rückt näher und ..."

Er rollte mit den Augen, während er den Rest der Sprachnachricht abhörte, die seine Frau ihm auf seiner Mailbox hinterlassen hatte. Das wurde langsam zur Gewohnheit. Seit fast drei Monaten versetzte sie ihn etwa zweimal in der Woche. Im Grunde, seit dem Zeitpunkt, als der neue Kollege in ihr Team gekommen war, der seiner Frau immer wieder auf den Po starrte.

Er war nicht eifersüchtig, aber er musste zugeben, dass es ihn schon misstrauisch machte, wie viel Zeit sie mit ihm verbrachte. Und wenn sie dann zuhause war, schaute sie immer wieder auf ihr Handy und ihre Augen bekamen diesen speziellen Glanz, der ihm echt zusetzte. Er wollte ihr vertrauen, denn er hatte schon gedacht, sie würden eine gesunde Beziehung führen. Aber so langsam überwog die Skepsis, ob sie das auch so empfand.

Denn oft wirkte sie auch abgelenkt, egal, wie sehr er versuchte, ihr zu zeigen, wie wichtig sie ihm war. Immer öfter durchzuckte ihn der Gedanke, dass er sie vielleicht verlieren würde. Aber er wusste nicht, wie er das in Worte fassen sollte. Er konnte ihr doch schlecht auf den Kopf zu sagen, dass er befürchtete, sie habe eine Affäre.

Er wollte es auch nicht wirklich. Denn wenn sie das bestätigte, dann wüsste er nicht, wie es weitergehen würde. Ob er mit dem Wissen leben konnte, selbst wenn sie ihm vielleicht sagte, es wäre ein Ausrutscher und sie würde ihn lieben. Das sagte sie ihm immer wieder, doch auch daran zweifelte er langsam.

Also ließ er es darauf beruhen und machte es sich in diesem Kokon der Unwissenheit bequem, obwohl immer öfter das Licht der Realität hineinschien. So grell, dass er seine Bedenken geäußert hatte, nur eben nicht seiner Frau gegenüber. Er seufzte leise und holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, ehe er sich durch sein Haar strich und das Schlafzimmer betrat, um seine Jeans gegen seine Jogginghose zu tauschen. Konnte er genauso gut den Rasen mähen, wenn er ohnehin zuhause sein würde.

Er stellte seine Bierflasche ab und ging zum Schrank, um sich umzuziehen, als sein Blick auf das Hochzeitsbild auf ihrem Nachttischchen fiel. Sie strahlten beide um die Wette, beide mit Torte beschmiert, weil sie die zuvor angeschnitten hatten. Er hatte sie damals aufgezogen, dass die meisten wohl eher eines der offiziellen Bilder aufstellen würden, doch sie hatte ihn angegrinst und gemeint, sie wäre nicht die meisten. Und überhaupt wäre dieses Bild das ehrlichste, das an diesem Tag entstanden war, denn genauso würden sie beide ticken.

Dieser Argumentation hatte er nicht widersprechen können, dachte er und schüttelte den Kopf. Er liebte sie immer noch wie damals, auch, wenn sie durch einige Höhen und Tiefen hatten gehen müssen. Sie verdrehte ihm auch immer noch den Kopf wie zu ihren Anfängen, als sie ihn in der Bar angestrahlt hatte, nachdem er sich zu ihr an den Tresen gestellt und ein Gespräch begonnen hatte.

Sollte das jetzt wirklich zu Ende gehen? Sein Telefon vibrierte und er las den Namen seines besten Freundes. Ach ja, der hatte ihm heute noch nicht gratuliert. Er wollte im Grunde nicht reden, er wollte nur seine Frau, aber er nahm ab.

„Hey, alles Gute zum Geburtstag, Frank. Was machst du?"

„Bin zuhause, da Michelle mich wieder versetzt hat und wir deswegen nicht zu meinem Geburtstagsessen gehen..."

„Oh, das ist hart. Tut mir leid. Dann brauch ich auch nicht fragen, ob du den Abend genießt. Hm, was war es denn diesmal?"

„Das Projekt war auch diesmal die Ausrede."

„Ok, ich bin mir sicher, dass sie die Wahrheit sagt, denkst du nicht?"

„Ich würde es gerne glauben, ja."

„Dann tu es. Aber jetzt was anderes: Ich wollte noch auf einen Absacker gehen, wenn du schon solo bist, wieso kommst du nicht mit? Wenn du ohnehin allein daheim sitzt?"

Er überlegte: Den Rasen konnte er auch morgen mähen und er hatte wirklich keine Lust drauf, hier allein Trübsal zu blasen. Schon gar nicht an seinem Geburtstag, der für Michelle immer wie ein Staatsfeiertag gewesen war. Aber offenbar hatte sich das geändert. Also stimmte er zu und da sein Kumpel behauptete, in der Nähe zu sein, nahm er auch sein Angebot an, dass er ihn abholte.

Dann war es auch egal, wenn er seinen Kummer vielleicht ein bisschen ertränkte. Nur so ein bisschen, damit sein Kopf aufhörte, ihm Bilder seiner Frau mit diesem Arsch Niko zu senden, der ihr immer auf den Arsch glotzte. Vielleicht sollte er sich ihren Kollegen zur Brust nehmen? Aber dann wirkte er wie ein eifersüchtiger Teenager, das wollte er auch nicht.

Er vernahm das Hupen und schnappte sich die Hausschlüssel, ehe er in seine Schuhe schlüpfte und zu seinem Freund in dessen Sportkarre stieg. Er begrüßte ihn und gab sich Mühe, die Schatten abzuschütteln, die von ihm Besitz ergriffen hatten, während sie durch die sommerliche Abendbrise innerhalb seiner Heimatstadt brausten. Es wäre so einfach, wenn er sich auch emotional darauf einlassen könnte, dass U2 aus den Boxen dröhnte und ihre Fahrt gelungen untermalte.

Doch das Misstrauen wühlte wie eine Fliegenlarve in seinen Eingeweiden. Er verstand einfach nicht, wie es so weit kommen konnte. Unzählige Male hatte er sich gefragt, ob sie irgendwo in der Beziehung falsch abgebogen waren und er es nicht begriffen hatte. Wäre alles paletti, hätte Michelle wohl kaum eine Affäre angefangen. Moment, er wusste nicht, ob sie eine hatte. Doch die Anzeichen sprachen dafür, egal, wie oft er das noch von sich schieben wollte.

Als der Wagen hielt, sah er sich erstaunt um. Sie waren tatsächlich schon am Zielort angekommen! Er war so mit sich und seinen Grübeleien beschäftigt gewesen, da hatte er das gar nicht mitbekommen.

„Hey, jetzt lass dich nicht so hängen. Ich glaube an Michelle und dich, weißt du?", sagte sein Kumpel und er nickte.

Was sollte er dazu auch sagen? Er wollte ja auch an sie glauben. Also war es bequemer, seine Gefühle weiter wegzuschieben. Er folgte seinem Kumpel in die Bar war aber weiterhin in Gedanken. Dass sie ausgerechnet heute an diesem Projekt arbeitete mit diesem Arsch...

„Überraschung!", drang aus vielen Kehlen an seine Ohren und sein Blick wurde wieder klar.

Da standen alle ihre Bekannten und sie ... die Liebe seines Lebens, die ihn in einem bezaubernden Kleid aus ihren Augen anstrahlte. Er merkte, wie sich ein Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete, während die Anwesenden ein Ständchen anstimmten. Sein Kumpel klopfte ihm augenzwinkernd auf den Rücken und er boxte ihn in die Schulter für die Tatsache, dass er Bescheid gewusst, aber ihn leiden lassen hatte. Dann setzte die Musik ein und er schüttelte ungläubig den Kopf.

Geröllsteine fielen von seiner Brust, als Michelle auf ihn zukam und flüsterte: „Hey, Schatz. Damit ist das Projekt beendet. Ich hab dir das angedroht: Irgendwann mach ich eine Überraschungsfeier für dich und du hast mich immer ausgelacht und gesagt, das würde mir nicht gelingen. Aber ich muss zugeben, das mach ich nie wieder. Ich dachte, ich ersticke an den Heimlichkeiten."

„Ich auch", gab er kleinlaut zu und jetzt sah sie ihn lange an, ehe sie sein Gesicht zwischen ihre Hände nahm.

„Dummer Mann. Hast du das wirklich gedacht? Dass ich die Flitzpiepe nehme, wenn ich dich haben kann?"

„Ziemlich dumm, hm?"

„Ja, Schatz. Unfassbar dumm. Aber ich liebe dich trotzdem."

„Ich dich auch", erklärte er und freute sich, als ihre Lippen sanft über seine strichen und Zeit und Raum ihre Bedeutung verloren.

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now