Versagen

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Sie war gerade so wütend! So frustriert! Sie hatte doch aber ein Versprechen gegeben und das konnte sie nicht halten! Sie war so enttäuscht von sich und wollte schreien, toben, heulen und irgendwas kaputtschlagen! Nicht nur, dass sich andere auf sie verlassen hatten, sie hasste es, sich etwas vorzunehmen und dann zu scheitern.

Sie war schon so oft gescheitert in ihren Augen und das kochte gerade hoch. Wieder schlich die Stimme in ihren Kopf, die ihr sagte, dass es immer schon so gewesen war. Dass sie immer wieder Dinge angefangen und dann versagt hatte. Indem sie sie hatte schleifen lassen oder sie letztlich aufgegeben hatte. Immer wieder war sie deswegen für ihre "fixen Ideen" belächelt worden, die ihren Feuereifer geweckt hatten.

Sie schloss die Augen, drängte die Tränen der Enttäuschung zurück. Sie würde deswegen jetzt bestimmt nicht heulen! Mochte der Stachel noch so tief sitzen und in ihr diesen Sturm der Entrüstung auslösen, den sie gerade spürte. In ihrem Kopf bauten sich die Gesichter ihrer Familie auf, die sie immer wieder mit diesem bestimmten Blick bedacht hatten.

Der, der sagte, sie hätten es gewusst und sie hätte ihre Erwartungen voll getroffen, obwohl sie diesmal geschworen hatte, das Vorhaben durchzuziehen. Sie konnten diese Vorwürfe auch ohne Worte an sie richten und jedes Mal, wenn sie ein Vorhaben nicht durchziehen konnte, verfolgten sie diese Blicke, auch wenn die anderen gar nicht da waren.

So wie jetzt. Sie ballte die Fäuste, kniff die Augen noch fester zusammen und versuchte ihnen zu entfliehen. Sich aus diesem Gedankenstrudel zu befreien und sich freizuschwimmen, von dem was war. Sie hatte nicht versagt, sie hatte sich wieder Luft zum Atmen gegeben. Das sagte sie sich immer wieder, bis sich der Knoten in ihrer Brust löste, der Druck von ihren Schultern abfiel. Sie war keine Versagerin, war es nie gewesen. Egal, wie oft diese Erinnerungen sie marterten, sie waren falsch. Falsch abgespeichert. Sie wusste es.

Niemals hatte sie etwas böswillig abgebrochen, weil sie keine Lust mehr dazu gehabt hätte, sondern stets deswegen, weil sich ihre Situation geändert hatte und sie sich anpassen musste. Das war kein Versagen, das war Stärke, weil sie für sich Prioritäten setzen konnte, auf das, was im Moment wichtiger war. Sie bemerkte, wie die Stimmen leiser wurden, langsam verblassten. Genauso wie die Enttäuschung.

Wenn Gedanken Flügel wachsen...Where stories live. Discover now