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Manuel

Zwei Stunden sitze ich im Auto vor meinem Club und betrachte die Leute, die ein und aus gehen. Überwiegend besoffene Männer, die ihren Frauen fremdgehen.

Richter, Anwälte, Ärzte, Lehrer.

Männer, die immer ruhig und organisiert leben müssen. Männer, die sich nie einen Ausrutscher erlauben dürfen, weil sonst ihr ganzen Leben auf dem Spiel steht.
Seufzend öffne ich das Autofenster und zünde mir eine Zigarette an. Normalerweise rauche ich nicht im Auto, aber heute kann mich nichts vom Gegenteil überzeugen.

Wie oft hatte ich Tevez gesagt, dass er keine Minderjährigen einstellen soll?

Jedenfalls ist mein Problem nicht das, dass Tevez wirklich eine Minderjährige eingestellt hat, sondern viel mehr, dass er es wusste. Er hat sich nicht verarschen lassen, nein. Er wusste, dass sie Minderjährig ist.
Die hätten mir alle meine Clubs geschlossen, wenn nicht ich, sondern ein Polizist heute Abend bei ihr einen Whiskey bestellt hätte.

"Tevez, du Idiot.", flüstere ich und puste den Rauch aus dem Fenster.
Die Straßen sind leer, kaum einer ist unterwegs. Das bunte Licht der Ampeln erleuchtet den Nebelbalken, der über der nassen Straße aufsteigt. Der Rauch meiner Zigarette wird durch die hohe Luftfeuchtigkeit nach unten gedrückt, sodass ich ihn mit meiner Hand verteile muss, damit er mir nicht ins Auto fliegt.

Genervt atme ich aus, als mein Handy klingelt. Ich versuche es zu ignorieren, doch es will einfach nicht aufhören.
"Ja.", brumme ich ins Handy und stelle es auf laut, um es auf das schwarze Armaturenbrett vor mir zu legen.

01:05 Uhr zeigt die Uhr meines Audis.

"Manuel, kommst du heute nochmal zurück?", fragt Julio, woraufhin hin ich mir mit der freien Hand gestresst über den Bart fahre.

"Kann ich auch vielleicht einmal meine Sachen erledigen?"
Ich versuche meine Stimme zu kontrollieren, doch es gelingt mir nicht wirklich.

"Ja natürlich, nur-"

"Nur was?", unterbreche ich ihn laut.
"Ich muss mich auch um meine Clubs kümmern, dios! Ihr werdet doch wohl zwei Stunden ohne mich auskommen, oder könnt ihr das nicht?"

"Deine Tante hat angerufen.", flüstert er letztendlich.

Seine Worte machen mich hellhörig.
"Warum? Ist alles in Ordnung?"

Mein Herz pocht plötzlich wie verrückt und die Zeit, die er zum Antworten braucht, quält meine Gedanken.

"Sie fragt, wann du vorbei kommst."

Ich kneife die Augen zusammen und ziehe fest an meiner Zigarette.
"Julio, dann sag mir das sofort. Du weißt, dass ich mir sonst Sorgen mache."

Er lacht leise.
"Sorgen? Seit wann machst du dir Sorgen? Kennst du das überhaupt? Weißt du, wie man sich Sorgen macht?"

"Halts Maul.", nuschel ich und schmeiße die Zigarette in die Pfütze am Bordstein. Ich stehe sowas von im Halteverbot, aber es traut sich sowieso niemand mich abzuschleppen. Sie wissen, wem dieser schwarze A6 gehört, der hier so frech auf dem Bordstein steht.

"Du solltest dich auf jeden Fall mal bei ihr melden.", beendet Julio das Gespräch.

"Und du solltest auf jeden Fall aufhören, dich in meine Familie einzumischen.", brumme ich und lege auf.
Meine Tante weiß ganz genau, dass ich spätestens in drei Wochen bei ihr aufkreuze.

Ich lasse meinen verspannten Nacken knacken und lege meine Waffe ins Handschuhfach. Bis jetzt ist weder Tevez, noch die Kleine aus meinem Laden gekommen. Wenn Tevez morgen immer noch hier sitzt, werde ich ihn wohl oder übel erledigen müssen. Die Kleine hat immerhin Glück, dass sie noch minderjährig ist und ich ihr einen kleinen Puffer gebe.

Bis morgen früh.

Dann ist sie weg.

Gähnend starte ich den Wagen. Ich habe keine Lust bei dem Regen aus dem Auto zu steigen, nur um Tevez kalt zu machen. Außerdem muss heute Nacht noch jemand den Laden schmeißen. Morgen kann ich mich dann kümmern, wenn er weg ist.

Aus dem Radio tönt klassische Musik und auch wenn ich eigentlich kein Fan davon bin, entspannt sie mich ein wenig. In meinem Kopf schwirren so viele Termine und Aufgaben herum, dass ich kaum noch einen klaren Gedanken fassen kann.
Und jetzt fällt mir auch noch Tevez in den Rücken, sodass ich mich darum auch noch kümmern muss.

Mit quietschenden Reifen fahre ich vom Bürgersteig und jage durch die leeren, feuchten Straßen nach Hause. Ich habe mir angewöhnt, immer nur spät Abends in die Stadt zu fahren. Bei den Automassen ist es fast unmöglich tagsüber pünktlich irgendwo hin zu kommen, erst recht, wenn man aus einer Vorstadt kommt.

Viel zu schnell fahre ich durch die breiten Straßen auf die Autobahn, schließlich muss ich auch heute noch zu Hause ankommen. Ich habe schon viel zu lange in diesem Club gesessen.

Ich wusste, dass sie 17 ist. Und ich wusste auch, wie sie wirklich heißt. Aber es war einfach zu amüsant, wie unsicher sie hinter der Theke gestanden hat. Jeder Blinde hätte ihr angemerkt, dass sie absolut keine Erfahrung hat. Weder im Kellnern, noch im Schwänze lutschen. Ich hätte sie auch einfach am Kragen packen können und rausschmeißen können. So wie ich es eigentlich vor hatte.
Aber wo wäre da der Spaß?

Jede Nutte in diesem Club weiß, dass man den Chef nicht anzupacken hat.

Nur sie wusste es nicht. So unschuldig wie sie vor mir stand, hätte ich alles von ihr verlangen können. Aber wollen wir mal nicht so sein, immerhin wusste sie nicht, wer ich bin.

Mir ist auch klar, dass sie nirgendwo hin kann. Aber wie ich schon erwähnt habe, bin ich kein Waisenhaus. Ich kann nicht alle Minderjährigen aus den Favelas aufnehmen, nur damit sie nicht mehr von ihren Vätern misshandelt werden.

Ich bin schließlich nicht Mutter Theresa.

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now