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Kiara

"Es ist nicht deine Schuld, dass dein Dad sich nicht um die Familie kümmern kann.", erwidert er nüchtern und schlürft an seinem pechschwarzen Kaffee.

"Er ist erst Alkoholiker geworden, nachdem-"

"Das interessiert mich nicht.", unterbricht er mich.
"Ich habe viel zu tun, damit das hier alles wieder läuft. Also halt mich bitte nicht auf, Pequenina."

Er hebt schnell seinen Kopf an, als das letzte Wort seinen Mund verlassen hat.

"Ich bin kein kleines Mädchen.", nuschel ich und konzentriere mich darauf, nicht rot zu werden.

Seine Mundwinkel zucken, bevor er seinen Blick wieder abwendet und weiter auf seinen Bildschirm starrt.
"Die Unterlagen sortieren sich nicht von alleine."

Genervt drehe ich mich um und setze mich auf den Boden zwischen die Papierstapel, die ich vermutlich bis zu meinem Geburtstag sortieren darf. Und egal wie viel ich sortiere, die Stapel werden nicht weniger und meine Arbeit scheint nicht zu verschwinden. Manchmal glaube ich, dass Manuel einfach neue Stapel dazustellt, ohne dass ich es merke.

Eine gefühlte Ewigkeit hocke ich auf dem Boden und sortiere Unterlagen. Hin und wieder reicht Manuel mir ein Minzbonbon, dass ich, obwohl ich es nicht mag, immer wieder annehme.

"Ich habe Hunger.", jammere ich erschöpft und lasse mich auf die Seite fallen.

"Dann mach dir was.", höre ich ihn nüchtern sprechen.

Ich schließe die Augen und versuche meine Müdigkeit zu verdrängen, doch es ändert sich nichts.
"Ich gehe erst schlafen."

"Wohin willst du schlafen gehen?"

"Na in mein Zimmer?", frage ich irritiert und drücke mich wieder hoch.
Manuel lehnt an der Ecke seines Schreibtischs und schaut mich mit verschränkten Armen an.

"Sehe ich aus, als würde ich auf dieser Couch pennen? Ich schlafe in deinem Zimmer und du hier.", schüttelt er den Kopf und gluckst belustigt.

"Ich schlafe doch nicht auf dieser Couch.", rufe ich perplex und stehe auf.

"Ach, aber ich?"

Ein Klopfen an der Tür unterbricht uns und zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Manuel schaut genervt zwischen mir und der Tür hin und her, bis er schließlich brummt.
"Ja."

Rita steckt ihren roten Lockenkopf durch die Tür und grinst mich an.
"Heute Abend auf die Bühne? Nelly ist ausgefallen, willst du einspringen?"

Das ist meine Rettung.
"Klar."

Manuels Blick brennt auf meinem Körper, doch ich schaue nur Rita lächelnd an. Ich brauche das Trinkgeld, mir bleibt nichts anderes übrig.

"Welche Sprache sprichst du?", meldet sich nun Manuel zu Wort.

Rita schaut ihn irritiert an und auch ich verstehe nicht, worauf er hinaus will. Welche Sprache soll ich schon sprechen?

"Entweder verstehst du mich nicht oder du willst mich nicht verstehen. Ich habe gesagt, dass du in den nächsten vier Woche aufräumst und nichts weiter.", fährt er fort.

"Aber wir brauchen jemanden, der Nellys Schicht-"

"Dann sprich mit Ines, dios.", regt er sich über Rita auf und schickt sie aus seinem Büro. Mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck schaut sie noch kurz zu mir herüber, bevor sie mich mit ihm alleine lässt.

"Hast du mich verstanden?", richtet er sich nun an mich und geht um seinen Schreibtisch herum. Abwartend stützt er sich ab und wartet auf meine Antwort.

"Manuel ich brauche das Geld.", erkläre ich ihm zum hundertsten Mal.

"Vielleicht sollte ich öfter die Sprache der Slums sprechen.", murmelt er vor sich hin und knallt seine Waffe fest auf den Schreibtisch, die er in seinem Hosenbund stecken hatte. Seine Finger umgreifen die Waffe, während sein Zeigefinger auf dem Abzug liegt.

Er hat sie nicht auf mich gerichtet, aber er will mir damit deutlich machen, dass ich nichts zu bestimmen habe.

"Schon gut.", gebe ich nach einer langen Pause von mir.

"Du kannst für Ines hinter der Theke einspringen, nachdem du etwas gegessen hast.", gibt er ein Stückweit nach und steckt seine Waffe zurück in die Anzughose. Was zur Hölle ist er?
Er scheint nicht einfach nur Unternehmer zu sein, sonst hätte er den Typen nicht einfach so auf offener Straße erschossen, oder?

Er schaut mich nicht mehr an und sagt auch nichts mehr, weshalb ich den Moment nutze und sein Büro verlasse, um mir etwas zu Essen zu holen und mich umzuziehen. Wenigstens gibt er mir die Möglichkeit an der Theke Trinkgeld zu sammeln.

Irgendwie scheint ihn jeder zu kennen, aber ich kann das Verhältnis zwischen den Frauen und ihm nicht richtig einschätzen. Sie haben Respekt und siezen ihn, aber sie nennen ihn nicht bei seinem Nachnamen. Und er duzt die Frauen und ist irgendwie locker, aber irgendwie auch nicht.

Nachdenklich schmiere ich mir ein Brot in der kleinen Küchen und überlege, wen ich über ihn ausfragen könnte. Eigentlich hat es mich gar nicht zu interessieren, immerhin ist er sowas wie mein Chef, aber ich habe das Gefühl, als würde er mich anders behandeln.

Bilde ich mir das ein?

Mein Handy klingelt und erschreckt mich heftig. Wie lange hatte ich dort schon nicht mehr draufgeschaut?

"Ja?", gehe ich ran und warte, bis mein Vater spricht.

"Kiara! Wo ist das Geld? Du weißt, dass ich heute bezahlen muss!", schreit er mich an. Er ist so betrunken, dass ich mir einbilde durch das Handy seine Alkoholfahne zu riechen.

Ich schließe meine Augen, nehme mein Brot und laufe in mein Zimmer, um mich umzuziehen.
"Ich habe dieses Wochenende Schicht und kann dir das Geld erst am Montag bringen."

"Das ist mir scheiß egal, du bringst mir das Geld bis morgen 10 Uhr! Sonst brauchst du dich hier nie wieder sehen lassen.", herrscht er mich an und legt auf.

"Ist vielleicht besser so.", brumme ich und atme tief durch, um mich nicht aufzuregen. Was denkt er, wer er ist? Er sollte dankbar sein, dass ich seine Schulden begleiche und dafür sorge, dass er nicht verhungert. Stattdessen säuft er weiter und brüllt mich auch noch an, wenn ich arbeite.

Für ihn.

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now