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Kiara

"Es tut mir Leid, dass ich den Nachmittag und vermutlich auch den Abend zerstört habe.", entschuldige ich mich bei Amara und Miguel, als ich bei ihnen ankomme.

"Kiara. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold."
Miguel ist sauer, das verraten mir seine Worte.

"Ja. Du hast recht. Ich hab mich provozieren lassen und das war ein Fehler. Ich denke, dass es besser ist, heute Abend im Hotel zu bleiben.", erkläre ich ihm, dass ich verstehe, wenn man mich heute Abend nicht mehr dabei haben will.

"Du bist willkommen, wenn du dich nicht auf solche billigen Provokationen einlässt. Es wäre die Aufgabe meines Neffens gewesen, dich zu verteidigen und den Mund aufzumachen. Das hat er nicht getan, deshalb kann ich deine Reaktion nachvollziehen. Du wolltest und du musstest dich verteidigen. Und das ist in Ordnung. Aber heute Abend möchte ich keine Eskalation. Das haben Xavier und Sofia nicht verdient. Das hat keiner hier verdient.", stellt er klar und erhebt sich vom Stuhl.

"Ihr dürft jetzt gehen.", beendet er das Gespräch und wirft seine Serviette respektlos auf den Teller, während er dabei Manuel anschaut.

"Kiara.", hält mich Amara auf.
"Du hast alles richtig gemacht. Ich bin stolz auf dich. Ich hätte es nicht anders gemacht, aber trotzdem hätte ich gehofft, das Manuel das für dich übernimmt.", gesteht sie mir.

"Danke, Amara."

"Mach dir keine Gedanken. Ruh dich aus.", verabschiedet sie uns.

Als ich mich umschaue, ist der Rest bereits gegangen. Ich fühle mich schlecht, dass ich eine Trauerfeier so ruiniert habe.

Aber eigentlich sollte ich mich nicht schlecht fühlen. Eigentlich sollten sich andere schlecht fühlen, weil sie es unter den Teppich gekehrt haben.

"Kommst du?", reißt mich Manuel aus meinen Gedanken, während er bereits im Türrahmen steht und mit dem Schlüssel wedelt.
Stumm setze ich mich in Bewegung und laufe an ihm vorbei. Mit zügigen Schritten sind wir am Auto, doch diesmal hält er mir die Tür nicht auf.
Er setzt sich einfach ins Auto und ignoriert mich.

"Du weißt, dass ich recht habe.", beginne ich, als er den Wagen startet.

"Das hättest du nicht vor meiner Familie ansprechen müssen. Das hier war eine Trauerfeier, kein Gericht. Du konntest dich nicht benehmen und deshalb ist es so geendet. Du wirst das vermutlich nicht verstehen, aber das hier ist eine Beleidigung für meine Eltern."
Sein harten Worten tun weh - sie verletzen mich.

Er spuckt sie mir so hasserfüllt und enttäuscht zugleich entgegen, dass ich am liebsten von hier weg möchte.
Mein Drang, die Zeit zurückzudrehen, war noch nie so groß, wie in diesem Augenblick.

Doch so schnell wie mein schlechtes Gewissen in diesem Augenblick gekommen ist, so schnell verschwindet es auch wieder.
Denn seine Worte machen mich wütend.

"Du weißt genau so gut wie ich, dass ich niemals damit angefangen hätte, wenn er mich nicht so derbe provoziert hätte. Er hat sich über mich lustig gemacht und mir ganz klar das Gefühl gegeben, dass ich nichts zu sagen habe. Er wollte mich einschüchtern und das habe ich nicht zugelassen. Einmal in meinem Leben, Manuel, habe ich nicht zugelassen, dass man es schafft mich einzuschüchtern und mich mundtot zu machen. Vier Jahre hat mein Vater mich verprügeln können, weil ich zu schüchtern war um irgendetwas zu sagen oder zu tun. Und jetzt, wo du stolz sein solltest oder wo du mich zumindest hättest verteidigen können, machst du das alles wieder zunichte. Du schimpfst mich deshalb aus. Ich kriege Ärger von dir, weil ich mich verteidigt habe gegenüber einem Vergewaltiger, den du aus dem Knast geholt hast.", verteidige ich mich aufgebracht.

"Sei ruhig jetzt. Ich möchte darüber nicht mehr reden."

"Wie bitte?"
Enttäuscht von seiner Reaktion schaue ich ihn an.

"Ich will darüber nicht mehr reden. Sei still jetzt.", wiederholt er sich tatsächlich, während er starr auf die Straße vor uns schaut.

"Wow. Feigling.", flüstere ich fassungslos und verschränke die Arme vor der Brust.

All die Wochen hat Manuel so einen erwachsenen Eindruck hinterlassen, doch das hier ist einfach nur kindisch.

"Du hast überhaupt gar keine Ahnung von dem ganzen hier. Also lehn dich nicht so weit aus dem Fenster. Du weißt gar nicht, was du getan hast!", antwortet er wütend auf meine Beleidigung, doch diesmal entschließe ich mich dazu nicht weiter auf seine dummen Worte einzugehen.

"Sei still. Ich möchte darüber nicht mehr reden.", zitiere ich nicht, weshalb er gehässig schnaubt.

"Alles klar. Dann kannst du gleich direkt mit Julio nach Hause fliegen."

Er will mich loswerden - schmeißt mich raus.

Tränen bilden sich in meinen Augen, während ich das realisiere.
"Fein, dann sag ihm Bescheid."

"Mit Vergnügen.", flüstert er und greift nach seinem Handy, um Julio anzurufen oder ihm eine Nachricht zu schreiben.

Wie kann jemand so ein Arschloch sein?
Ich weiß, dass man es hätte anders lösen können und ja - ich hätte mich nicht provozieren lassen dürfen. Aber er hat einfach nur da rumgestanden und nichts gesagt. Er ist nicht mal richtig eingeschritten, als Toby mich vor allen Bloß stellen wollte. Und jetzt will er mich los werden, weil ich zum ersten Mal in meinem Leben für mich selber eingestanden habe.

Er versteht mich nicht - aber das will er auch nicht.

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now