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Kiara

Mit Händen in den Hosentaschen stellt er sich breitbeinig in mein Sichtfeld und beäugt mich von oben bis unten, sodass ich mich unsicher fühle.

Wie ein Löwe ein Gnu beobachtet, bevor er es angreift.

"Was ist los?", fragt er dennoch überraschend ruhig.

"Ich hab' das Gefühl, dass du mir nicht alles erzählst.", murmel ich.

Manuel schaut sich zwei Mal um, bevor er mit zwei Schritten vor mir steht und mich ins Badezimmer schiebt. Mit dem Fuß schließt er die Tür und lehnt sich dann dagegen, bevor er den Schlüssel einmal umdreht.

"Tue ich auch nicht. Weil es Dinge gibt, die dich nichts angehen. Es gibt Dinge über diese Familie, die du nicht wissen willst und auch besser nicht wissen sollst. Du musst trotzdem keine Angst haben, denn ich bin auch hier. Du ist hier nicht alleine, also hör nicht auf Celeste's Horrorgeschichten über meine Cousins."
Abwartend und ungeduldig zugleich sieht er auf mich herunter und wartet stumm darauf, dass ich ihm zustimme.

Aber das tue ich nicht.

"Ich höre auf das, was ich will. Das hast du nicht zu entscheiden."

Belustigt schnaubt er, bevor er sich mit der rechten Hand über sein makelloses Gesicht fährt und tief durchatmet.

Jetzt bin ich ihm also zu anstrengend?

"Werden wir jetzt aufmüpfig oder wie läuft das hier?"

"Gar nichts werde ich. Ich will, dass du mir die Wahrheit sagst.", zische ich wütend über seine Worte.

Manuel wendet seinen Blick ab und befeuchtet seine Unterlippe, bevor er mir antwortet.
"Mein Cousin Toby wurde in Amerika wegen Vergewaltigung festgenommen und ich habe seine Kaution bezahlt. Zufrieden?"

"Was?", hauche ich fassungslos und merke, wie mein Blutdruck absackt. Meine Hände werden eisig kalt, mein Kopf dröhnt und ich sehe Punkte vor meinen Augen.

"Du hast was getan?", wiederhole ich mich schockiert und hoffe innerlich, dass das nicht wahr ist.

"Ich habe seine Kaution bezahlt.", wiederholt er sich seufzend.
Nicht, weil meine Fragerei ihn nervt, sondern weil er anscheinend selber ein schlechtes Gewissen hat.

"Ist er hier?"
"Sag mir nicht, dass er heute hier ist."

"Doch. Er ist da.", nickt Manuel.

"Deshalb soll ich mich von ihnen fern halten.", kombiniere ich Celeste's Warnung schnell.

"Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass hier und heute etwas passieren wird? Kiara, wir sind im Haus von Miguel Jimenez, glaubst du ernsthaft er packt hier jemanden an?"

"Du hast die Kaution von einem Vergewaltiger bezahlt, Manuel.", wiederhole ich seine Worte, um ihn zurück in die Realität zu holen.
"Erst bringst du unschuldige Menschen um und jetzt bezahlst du auch noch Kautionen von Vergewaltigern und lädst sie ein? Hast du sie noch alle?", werde ich hysterisch und fuchtel wild mit den Armen vor seinem Gesicht herum.

"Du weißt doch überhaupt nicht, ob er es getan hat?"

Fassungslos schaue ich ihn an, während mir alle Gesichtszüge entgleiten.
"Wie bitte?"
"Es liegt ja wohl auf der Hand, dass er es getan hat. Sonst hättest du ihn im ersten Satz in Schutz genommen. Stattdessen verteidigst du ihn und willst mir verklickern, dass ich mir hier keine Sorgen machen müsste, weil er unter so vielen Leuten nichts tut. Hörst du dir eigentlich selber zu? Wenn es einer getan hat, dann ja wohl er!", werde ich laut, während Manuel seine Augen schließt und seinen Kopf gegen die Tür lehnt.

"Seine Mutter hat mich angefleht, hörst du? Sie hat mich verdammt nochmal angefleht diese verfickte Kaution zu bezahlen, damit er nach Hause kann!", zischt er und haut mit der flachen Hand gegen die Tür.

Erschrocken zucke ich zusammen, während er automatisch die Augen aufreißt und inne hält.
"Sorry. Ich wollte nicht- Tut mir Leid."

"Geh.", bitte ich ihn flüsternd.

"Kiara, du weißt, dass ich dir nichts tun würde.", beteuert er erneut.

"Ich möchte, dass du jetzt gehst. Wir sind hier fertig.", reiße ich mich zusammen.

"Ich habe nicht dran gedacht, dass dein Vater dich-"

"Manuel, bitte. Geh wieder zu Toby und den anderen und verteidige einen Vergewaltiger.", schmeiße ich ihn kraftlos aus dem Bad.

"Ich habe nie gesagt, dass ich ihn verteidige oder gut heiße, was er getan hat.", verteidigt er sich und greift nach meinem Arm.

"Nein. Aber das musstest du auch gar nicht sagen. Denn du hast ja seine Kaution bezahlt.", flüstere ich enttäuscht und schüttelt seinen Arm ab.

"Kiara, tu jetzt nicht so als, als wäre ich auch so. Du weißt, dass ich das absolut nicht gut heiße. Das hier hatte ganz andere Gründe. Das verstehst du nicht.", schüttelt er den Kopf.

"Dann erklär es mir doch? Erklär es mir doch ein einziges Mal. Aber das tust du ja nicht. Du lässt mich immer im Dunkeln tappen. Ich kann das nicht.", rufe ich verzweifelt.

"Kiara? Manuel? Der Kirschkuchen ist da."
Amara hat ihren Kopf in den Flur gesteckt und sieht uns erst lächelnd an, bis sie mein Gesicht sieht.
Dann zieht sie die Augenbrauen zusammen und kommt auf uns zu.

"Was ist los? Manuel, was ist passiert?", fragt sie nervös und schiebt Manuel an die Seite, um mich in den Arm zu nehmen.
Während ich sie umarme und Manuel mich nur verletzt ansieht, kommen mir die Tränen, sodass ich den dicken Kloß nicht mehr herunter schlucken kann.

Und anstatt das Manuel bei mir bleibt, mich versteht und mich auch in den Arm nimmt - anstatt das er mich tröstet und sein Versprechen hält - schaut er mich ausdruckslos an und dreht sich dann mit Händen in den Hosentaschen um.

Meine Sicht verschwimmt, während ich auf seinen breiten Rücken schaue, weil er sich immer weiter von uns entfernt.

"Was ist passiert, Liebes?", flüstert Amara, doch ich höre ihre Worte nur leise.

Manuels Lackschuhe, die in regelmäßigen Abständen auf den Marmorboden treffen, übertönen jedes andere Geräusch, das ich normalerweise ebenfalls wahrnehmen würde.

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now