Capitulo 110

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Kiara

"Woher weißt du das?", hauche ich, weil sich selbst meine Stimmbänder verkrampft haben.

Zumindest fühlt es sich so an.

"Das hier ist meine Stadt. Glaubst du, sowas geht an mir vorbei?", fragt er fast schon arrogant, auch wenn er sich Mühe gibt.

Jetzt wo er mich drauf hinweist, frage ich mich tatsächlich, wie naiv ich war. Natürlich bekommt er das mit.

Natürlich weiß er auch, wo ich jetzt wohne.

Und natürlich weiß er auch, wo meine Schwester zur Schule geht oder dass ich meinen Vater angezeigt habe und er in Untersuchungshaft sitzt.

"Ja.", atme ich tief durch.
"Ich habe meinen Vater angezeigt und meine Schwester zu mir geholt. Wir wohnen in einer Wohnung von Julios Kumpel in Casa Verde. Aber das weißt du ja sicherlich."

"Hat Julio dir nicht gesagt, dass Casa Verde eine gefährliche Gegend ist?", fragt er eintönig und verschränkt die Arme vor der Brust.

"Wohl kaum gefährlicher als die Favela, aus der ich komme, nicht?", gebe ich ebenso eintönig von mir und frage mich im gleichen Atemzug, warum ich überhaupt so lange mit ihm rede.

Er hat sich ja noch nicht mal entschuldigt - nicht mal begrüßt hat er mich.

Stattdessen lehnt er sich so arrogant wie immer gegen diese Theke und gibt sich nicht einmal die Mühe, seine Augen nicht über meinen Körper gleiten zu lassen. Wie immer sieht er mich schamlos an, als hätte er mich nicht vor 5 Wochen aus seinem Hotelzimmer geschmissen und mich ausgeschimpft, weil ich mich das erste Mal getraut habe den Mund aufzumachen.

"Bis jetzt ist uns noch nichts passiert und wir wohnen schon fast einen Monat dort.", füge ich hinzu, damit er seine Augen aus meinem Dekolletee nimmt und mir wieder ins Gesicht schaut.

"Warum wohl.", spottet er und greift hinter die Theke, um sich ein Glas und eine Whiskeyflasche zu nehmen.

"Wie, warum wohl?", verstehe ich seine Aussage nicht wirklich.

"Glaubst du ich schicke meine Männer nicht zu dir, wenn ich weiß, in was für einer Gegend mein Handlanger dich untergebracht hat? Wohl kaum.", erklärt er seine Worte und schüttet die honigfarbene Flüssigkeit in das saubere Glas.

"Haben wir noch Eiswürfel?", wechselt er das Thema und lehnt sich über die Theke, sodass mir eine traumhafte Mischung aus seinem After Shave und seinem Parfüm in die Nase steigt.

"Nein.", knurre ich, weil seine Arroganz und seine Spionage, die er anscheinend betreibt, mich wütend machen.

"Lüge.", runzelt er die Stirn und öffnet ein kleines Fach, in dem die Eiswürfel sind.
Zufrieden schaufelt er sich zwei Stück in sein Glas, während ich die kleinen Risse in den Eiswürfeln verfolge, die sich durch den Temperaturunterschied entwickeln.

Ein leises Knistern der kalten Eiswürfel in dem zimmerwarmen Whiskey unterbricht die Stille zwischen uns, bevor Manuel wieder das Wort ergreift.
"Ohne meine Männer wärt ihr beiden schon längst tot. Also beschwer dich nicht."

"Bitte? Ich soll mich nicht beschweren? Wie wär's wenn du mich einfach in Ruhe lässt, so wie ich es dir gesagt habe?"

"Vergiss es. Du bist gegangen und wir haben nicht einmal irgendwas geklärt. So einfach kommst du mir nicht davon.", schüttelt er den Kopf und nimmt einen kleinen Schluck von seinem Whiskey.

"Ich bin gegangen? DU hast mich rausgeworfen!", stelle ich klar, weshalb Manuel seinen Zeigefinger aus seine feuchten Lippen legt, um mir zu signalisieren, dass ich meine Stimme senken soll.

Wütend.
Er macht mich so unfassbar wütend.

"Gut, dann habe ich dich rausgeworfen. Und ja, das war falsch. Ich hätte das nicht tun dürfen, du hast recht aber-"

"Und du hättest deinen widerlichen Cousin nicht aus dem Knast holen dürfen!", unterbreche ich ihn wütend.

Er seufzt, bevor er mir antwortet.
"Ja, auch das hätte ich nicht tun dürfen."

Seine Gelassenheit überrascht mich.
Er wird nicht einmal laut - nicht mal ein kleines bisschen.

Und er gibt mir sogar recht.

"Was ist? Stimme verloren?", provoziert er mich mit zuckenden Mundwinkeln.

"Meine Schicht ist vorbei. Ich mache jetzt Feierabend.", beende ich unser Gespräch und falte das Trockentuch, um es auf die saubere Theke zu legen.

"Wir sind noch nicht fertig, Pequenina.", gibt er mir immer noch diesen Spitznamen.

"Ich habe jetzt einen Termin bei der Staatsanwaltschaft, schon vergessen?", zische ich, doch bereue es so gleich wieder.
Manuel schafft es so unglaublich ruhig zu bleiben und mir schon wieder das Gefühl von Sicherheit zu geben und ich kann das nicht?

"Ich bringe dich. Deine Schwester kann solange hier bleiben.", bestimmt er.

"Nein! Vergiss es. Ich brauche dich nicht, ich kann meine Sachen selber klären.", lehne ich ab und verlasse die Bar.

"Das weiß ich. Aber du kannst dich nicht selber beschützen. Nicht in dieser Stadt und erst recht nicht wenn es Dunkel wird.", widerspricht er mir und drückt sich von der Theke ab, um mir hinterher zu gehen.

"Ja, aber dafür brauche ich nicht dich-"

"Kiara?", unterbricht mich eine männliche Stimme.

Scheiße.
Verflucht.

"Ja, ich komme.", antworte ich, weil ich genau weiß, wer gerade den Club betreten hat.

Manuel zieht die Augenbrauen zusammen, bevor er sich umdreht und dem Mann in der Tür direkt ins Gesicht schaut.

"Hey, da bist du ja. Ich habe schon draußen gewartet, es ist schon nach sechs.", merkt Jose an und kommt auf uns zu.
Dann erkenne ich, dass er einen kleinen Blumenstrauß in der rechten Hand hält.

"Wer ist er?", mischt sich Manuel ein und steckt seine Hände provokant in die Taschen seiner schwarzen Anzughose.

"Jose, ich komme gleich, kannst du draußen warten?", übergehe ich Manuels Frage und schicke Jose weg.
Es soll auf keinen Fall zu einer Eskalation kommen.

Als Jose jedoch immer noch näher kommt und das dämmrige Licht sein Gesicht erleuchtet, merke ich, dass Manuel ihn erkennt.

"Und wer ist das?", fragt mich Jose irritiert und schaut zwischen uns her.
"Dein Chef?"

"Jose, das-"

"Ex- Freund.", unterbricht mich Manuel.

Scheiße, scheiße, scheiße.

"Ex- Freund? Das wüsste ich aber.", lacht Jose und senkt die Blumen langsam.

Manuel fährt sich mit der großen Hand über die zuckenden Mundwinkeln, während er sich in meine Richtung dreht.
"Seiten gewechselt?"

Hm?", frage ich mit rasendem Herz und schaue ihm direkt ins Gesicht.

"Ob du die Seiten gewechselt hast.", wiederholt er sich und schaut von oben auf mich herab.

Ich weiß, worauf er hinaus will.
Natürlich kennt er Jose - das war mir klar.

Manuel kennt jeden Staatsanwalt hier in der Stadt.

"Jose, ich ziehe mich eben um und hole Isabella. Ich komme dann raus.", schicke ich ihn weg.

Skeptisch sieht er zwischen mir und Manuel her, bis er sich schnaubend umdreht und den Club verlässt.

"Wusste nicht, dass du jetzt 'nen Staatsanwalt vögelst.", merkt Manuel an und kneift mir kurz in die Wange bevor er an mir vorbei geht und mich alleine zurück im Club lässt. 

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now