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Kiara
08:56 Uhr

"Ich hätte dir sagen sollen, dass er der Boss ist.", entschuldigt sich Ines bei mir, während ich meine Sachen zusammen suche.

Viele sind es ja nicht.

"Darum ging es ihm nicht.", schüttel ich gekränkt den Kopf.
"Ich bin erst 17."

Sie macht große Augen und schiebt ihren Kopf vor.
"Ach du heilige-"

Ich nicke.
"Ich habe versucht ihn anzulügen, aber das hat nichts gebracht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde er mich besser kennen, als ich mich."

"Ja, das ist auch so. Manuel weiß alles, das schwöre ich dir.", bestätigt sie meine Vermutung.
Mitleidig sieht sie mich an und reicht mir mein kleines Kissen.

"Und wo gehst du jetzt hin?", will sie wissen und hilft mir meine Reisetasche zu schließen.

Schulterzuckend schlüpfe ich in meine weißen Schuhe, die ich mir erst vor einigen Tagen von meinem ersten Gehalt gekauft hatte.
"Zurück kann ich nicht. Das schaffe ich nicht."

Sie nickt verstehend und zieht mich in eine Umarmung. Stumm versuche ich meine Tränen wegzublinzeln. Ich habe in der letzten Nacht so viel geweint, dass ich eigentlich dachte, dass ich keine Tränenflüssigkeit mehr über habe.

So täuscht man sich.

"Vielleicht lässt er ja noch mal mit sich reden.", versucht Ines mir Hoffnung zu machen.

Belustigt schnaube ich.
"Nein, dass er hat mir gestern deutlich gemacht."

"Na gut. Pass auf dich auf, kleines."
Sie drückt meine Hände fest, bevor sie mich alleine zurück lässt. Ich habe es hier nicht gemocht, aber es war sicher. Ich hatte meine Privatsphäre und wurde verpflegt. Ich hatte ein festes Dach über dem Kopf und meine Matratze blieb trocken, auch wenn es draußen geregnet hat.

Es gab niemanden, der mich angeschrien, geschubst oder geschlagen hat. Ich konnte tun, was ich wollte, ohne dass ich ärger bekommen habe.

Ich-

"Die schwarzen Haare stehen dir besser. ", erschreckt mich eine bekannte Stimme.

Wie versteinert bleibe ich stehen, dann bemerke ich, dass ich meine Perücke nicht trage. Den Tränen nahe ziehe ich die Kapuze meines Hoodies über meine Haare, doch es ist viel zu spät. Er kennt nicht nur meinen Namen und mein Alter, nein. Jetzt weiß er auch noch wie ich aussehe.

"Schau mich an, wenn ich mit dir rede.", fordert er mich auf, mich zu ihm zu drehen. Doch ich bin ungeschminkt, ich bin nicht verkleidet.

"Nein, niemand soll mich-"

"Kiara du hast in einem meiner Clubs gearbeitet. Glaubst du ich kenne die Frauen nicht, die bei mir angestellt sind?", lacht er mich aus, woraufhin mir ein Schauer über den Rücken läuft.

Natürlich weiß er, wie du aussiehst, Kiara.

"Aber chapeu, ich hatte gestern wirklich Mühe dich zu erkennen.", provoziert er mich weiter.

Als ich mich umdrehe, lehnt er mit verschränkten Armen in meiner Tür. Heute trägt er nur ein weißes Hemd und eine dunkelgraue Anzughose. Seine Füße, die in teuren Lackschuhen stecken, hat er lässig über Kreuz gelegt.

So wie ich ihn mustere, so mustert er mich. Von Kopf bis Fuß und anders herum. Bis er letztendlich in meinem Gesicht hängen bleibt und sich meine Sommersprossen anschaut. Es sieht aus, als würde er sie zählen, so konzentriert sieht er mich an. Ich fühle mich wie seine Beute, die er ausspioniert, um sie gleich zu erlegen.

Als würde er genau überlegen, wie er mich am besten umlegt. So, wie er es gerade mit Tevez in seinem Büro gemacht hat.

Als er fertig ist mit starren, macht er die Tür frei und nickt in den Flur. Ich schaue ihn noch einen Augenblick an, dann nehme ich meine Jacke und meine Tasche in die Hände und verlasse mein Zimmer.

"Ich helfe dir.", bietet er mir schadenfroh an und nimmt mir die Reisetasche ab.

"Ich kann das alleine.", murre ich und lasse den Henkel nicht los, doch es kümmert ihn gar nicht.

Mit einem Ruck entzieht er mir die Tasche und beugt sich zu mir herunter, um mir sarkastisch ins Gesicht zu flüstern.
"Ich weiß, aber ich bin doch ein Gentleman."

Seine Mundwinkel zucken verräterisch und beweisen mir, dass er sich über mich lustig macht.

"Wärst du ein Gentleman, würdest du mich nicht rausschmeißen.", kontere ich nervös.
Was habe ich denn noch zu verlieren?
Ich bin doch sowieso so gut wie obdachlos, da kann ich ihn auch noch ein wenig auf die Palme treiben.

"Oh, wäre ich kein Gentleman, dann würde ich dich hier arbeiten lassen und zulassen, dass sich die alten Säcke an einer Minderjährigen vergreifen."
Seine Worte sind wahr und sie machen mir Angst.

"Als würde dich das Gesetz interessieren.", zische ich und bleibe im Flur stehen.

Er läuft noch einige Meter, dann bleibt er stehen und dreht sich mit der Tasche in seiner rechten Hand um.
"Wie bitte?"

Er schiebt seine linke Hand in seine Hosentasche und legt den Kopf leicht schief, während er auf meine Antwort wartet.

"Ich habe gesehen, dass du Tevez erschossen hast.", lüge ich ihn an.
Ich habe es nicht gesehen, aber ich habe den Schuss gehört und an seiner Hand klebt Blut. Nicht viel, aber es ist Blut.

Manuel lässt meine Reisetasche mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden fallen und kommt langsam auf mich zu.
"Du weißt, dass wir beide jetzt ein noch größeres Problem miteinander haben."

Elegant zieht er seine Waffe aus seinem Hosenbund und kommt in dem dunklen Flur auf mich zu. Plötzlich wirkt er noch größer und kräftiger.

"Das war gelogen. Das war gelogen.", quietsche ich und nehme die Hände hoch, während ich einige Schritte zurück gehen.
Er schiebt mit dem Lauf seiner schweren Waffe mein Kinn nach oben, sodass ich gezwungen bin, ihn anzuschauen.
Das kalte Metall drückt sich schmerzhaft in meine Haut, doch ich habe keine Möglichkeit einen Laut abzugeben.

"Will ich hoffen.", knurrt er und drückt die Waffe noch fester in mein Kinn, bevor er sie wieder in seinem Hosenbund verschwinden lässt.

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now