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Manuel

"Wie haben sich deine Eltern kennengelernt?", fragt sie mich nach einigen Minuten Stille.

"Xavier war der beste Freund meines Onkels. Die beiden haben zusammengearbeitet; mein Vater hat meinen Onkel beim Geschäft unterstützt. Mein Vater war dann natürlich oft bei meinem Onkel zu Hause und meine Mutter war dementsprechend auch immer da. Sie durften nicht ausziehen, bevor mein Opa ihre Sicherheit nicht garantieren konnte. Sie wollte keinen Bodyguard, also ist sie in Culiacan geblieben. Mein Onkel hat erzählt, das mein Vater nicht die Finger von meiner Mutter lassen konnte. Er war überhaupt nicht begeistert von der Beziehung und hat meinem Vater wohl auch eine ordentliche Faust verpasst.", lache ich, während ich Kiara die Geschichte erzähle.

"Ohhh.", lacht sie leise.

"Mein Onkel hat vier Wochen nicht mit meinem Vater und seiner Schwester geredet, bis er es letztendlich doch akzeptiert hat.", ergänze ich belustigt.

"Du hast deinen Onkel sehr gern, oder?", stellt sie mir eine tiefsinnige Frage.

"Ja. Er hat mich aufgezogen. Er und seine Frau haben dafür gesorgt, dass ich eine Zukunft habe. Ohne die beiden, hätte ich jetzt nichts. Nachdem die beiden geheiratet haben, hat er mich adoptiert."

"Ach. Das wusste ich nicht.", spricht sie überrascht.
"Ich wusste nicht, dass er dich adoptiert hat."

Ich lächle.
"Er mag sehr kalt und gefühllos auftreten, aber eigentlich hat er ein großes Herz. Er ist für Celeste ein wunderbarer Vater - da bin ich mir sicher. Und auch für mich ist er eine gute Bezugsperson gewesen. Er hat mich ausgebildet, während meine Tante mir Benehmen beigebracht hat."

"Als ich sie kennengelernt habe, wusste ich sofort, woher du deine gute Erziehung hast.", lacht Kiara.

"Machst du dich gerade über mich lustig?", frage ich empört und kneife ihr in den Oberschenkel.

Lachend versucht sie meine Hand zu entfernen, während ich sie weiter ärgere.
"Lass das. Das kitzelt!", kichert sie.

Grinsend kneife ich sie noch einmal, bevor ich meine Hand wegziehe und den Wagen durch die Kurve lenke.
"Vergiss gleich deine neuen Sachen nicht.", erinnere ich sie an die Tüte, die seit 10 Tagen in meinem Schlafzimmer steht.

"Ja, stimmt. In meine kleine Sporttasche passt gar nicht so viel rein.", jammert sie und schaut nach hinten auf die Rückbank, auf der ihre Tasche steht. Ihre rechte Hand hat sie auf meine Schulter gelegt, um sich besser umdrehen zu können.

"Du kannst deine Sachen in meinen Koffer packen - wenn es dir nichts ausmacht. Oder ich gebe dir eine größere Tasche.", biete ich ihr an.

Nickend dreht sie sich wieder um und entfernt ihre Hand. Ihre Berührungen machen mich wahnsinnig.
Ich hatte mich gut im Griff und war mir so sicher, dass ich nicht einknicken würde, aber immer wenn sie mich so unschuldig berührt, muss ich mich anstrengen. Ihre Berührungen sind nicht absichtlich.

Nein.

Sie sind reflexartig.

Einfach so aus dem Nichts.

Sie denkt nicht darüber nach und das ist wohl mein größtes Risiko.

Kiara weiß nicht, wie attraktiv ihre Unschuld ist.

Und genau diese Unwissenheit treibt mich jedes Mal fast in den Wahnsinn.

"Hm, wir können uns einen Koffer teilen.", nimmt sie meinen Vorschlag an und rutscht dann tiefer in den Sitz.

"Gut. Ich stelle ihn dir hin. Du kannst dann schonmal packen, ich muss nochmal weg. Ich habe noch einen Termin, aber das geht ganz zügig.", erkläre ich ihr.

"Was für einen Termin?", probiert sie es immer wieder.

"Geschäftlich, Baby. Geschäftlich.", beantworte ich ihre Frage nicht eindeutig.

Sie seufzt.
"Okay."

"Kannst du um 17 Uhr fertig sein. Ich beeile mich mit dem Termin, aber ich kann nichts versprechen.", wechsle ich das Thema absichtlich.

Ich will nicht schon wieder mit ihr darüber diskutieren. Das bringt uns nur schlechte Laune und die kann ich vor dem Wochenende nicht gebrauchen.

"Kiara.", wiederhole ich mich, weil sie mir nicht antwortet.

"Ja.", brummt sie.
"Habe ich verstanden."

Ich parke den Wagen direkt vor meinem Haus und verriegel absichtlich die Türen, damit sie nicht aussteigen kann.
"Sei nicht so, por favor. Wir hatten das doch besprochen. Du kannst nicht jedes Mal beleidigt sein, wenn ich geschäftlich unterwegs bin, Kleines."

Sie hat die Arme verschränkt und schaut aus dem Seitenfenster nach draußen. Die Frühlingssonne strahl auf die Palmen in meinem Vorgarten, während sich die Blätter sachte im Wind wiegen.

"Ich bin nicht beleidigt."

Ich wende meinen Blick ab und schaue durch die Windschutzscheibe.
"Ich glaube aber doch."

"Muss ich Angst haben?", fragt sie mich plötzlich enttäuscht.

"Angst? Wovor?", runzle ich die Stirn und schaue sie wieder an.

"Um dich. Muss ich bei deinen geschäftlichen Terminen Angst um dich haben?", wiederholt sie sich konkreter.

Ich schüttel den Kopf.
"Nein. Ich weiß, was ich tue. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.", lüge ich sie an.

Dass ich weiß, was ich tue - das stimmt.
Ich weiß was ich tue. Aber das heißt nicht, dass ich sicher bin.

Trotzdem will ich nicht, dass sie sich Sorgen macht. Sie soll nicht wie mein Tante weinend und völlig fertig zu Hause sitzen, während ich unterwegs bin. Ich will das so lange wie möglich von ihr fern halten.

"Okay.", flüstert sie und schaut mich an.
"Darf ich dich umarmen?"

Meine Mundwinkel zucken.
"Komm her.", winke ich sie mit meinem Zeige- und Mittelfinger zu mir heran und schnalle sie nebenbei ab, sodass sie sich zu mir herüber lehnen kann.
Doch anstatt sich nur herüber zu lehnen, klettert sie auf meinen Schoß, um mich dann zu umarmen.

"Ist schon gut. Alles gut.", murmel ich nah an ihrem Hals und streiche über ihren Rücken.
"Du musst nur mit mir reden. Hörst du? Du kannst immer mit mir reden. Das ist wichtig."

Langsam nickt sie und legt ihr Gesicht in meine Halsbeuge.

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now