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Kiara

"Hier ist Culiacan und hier ist Hermosillo. Im Nord-Westen von Mexiko.", erklärt er, während ich nur auf ihn achte.
Seine Zeichnung verliere ich völlig aus den Augen.

Der Ring an seinem Finger und die Adern, die über seinen Handrücken laufen und unter seinem weißen, gekrempelten Hemd verschwinden, lenken mich ab.

Und wie sie das tun.

Würde er seinen Mittelfinger genauso federleicht auf meine Mitte legen? Oder würde er gröber mit mir umgehen, als mit dem feinen Sand unter uns.

"Hörst du mir zu?", fragt er vorwurfsvoll mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

"Klar.", räuspere ich mich und schaue auf seine Zeichnung.

"Ich will hier jetzt ungerne den Lehrer spielen, aber wo ist Cancun?", stellt er mich auf die Probe. Auf seiner Landkarte sind plötzlich viel mehr Steine, als noch vor ein paar Sekunden. Woher soll ich jetzt wissen, wo dieses Cancun liegt?

"Ich-"

"Das würde ich dann mit einer 6 benoten.", ärgert er mich und lacht anschließend leise in sich hinein.

"Gut, dass du kein Lehrer bist.", kontere ich.

"Zweifelst du etwa meine Fähigkeiten an?", fragt er empört und schaut mich gespielt beleidigt an.

"Das würde ich nie tun.", lüge ich ihn genauso empört an.

Er erwidert nichts mehr, außer ein herzhaftes Lachen. Ein breites Lachen - ehrlich und glücklich.

"Also hier oben ist Hermosillo, da wo du gewohnt hast mit deinen Eltern. Und hier unten ist Culiacan, wo dein Onkel mit seiner Frau lebt?", zeige ich ihm, dass ich doch einiges behalten habe.

"Genau. Gut.", nickt er.
"Auf jeden Fall haben sie mich bei meinem Onkel abgesetzt, weil sie weiter wollten zu meinem Opa. Er lebt hier in Cancun. Drei Stunden, nachdem sie mich abgesetzt hatten, hat mein Onkel die Nachricht bekommen, dass sie ermordet wurden. Ein Polizist hat ihre Leichen abseits der Straße gefunden, sie wurden mit einem Kopfschuss hingerichtet."

Seine Worte erschrecken mich.

Manuel wendet seinen Blick ab.
"Ihr Todestag jährt sich dieses Jahr zum 20. Mal. Ich hatte gehofft, dass es leichter wird. Aber es wird schlimmer. Jedes Jahr wird es schlimmer.", erklärt er mir mit gebrochener Stimme.

"Das tut mir so unfassbar Leid, Manuel. Ich hatte ja keine Ahnung..", flüstere ich heiser.

"Ich habe als Jugendlicher oft Nachts wach gelegen und mir gewünscht, dass ich auch in diesem Auto gewesen wäre. Dann wären sie jetzt nicht dort oben und ich hier unten. Dann wären wir immer noch zusammen.", fährt er fort.

Er muss sich zusammenreißen, nicht zu weinen, und es bricht mir das Herz.

"Nein, denk sowas nicht.", schüttel ich den Kopf.

Er reibt sich schnell über die Augen.
"Ich hatte von da an keine Wahl mehr. Mein Onkel hat mich in das Geschäft eingeweiht, mich zu Hause unterrichten lassen und mich ausgebildet. Meine Tante hat sich um meine Schulbildung und mein Studium gekümmert, während mein Onkel mir das Schießen, Kämpfen und Morden beigebracht hat. Ich hatte keine Wahl, Kiara.", rechtfertigt er sich.

"Ich hatte keine Ahnung, Manuel.", entschuldige ich mich fassungslos.

"Ich mache dir keine Vorwürfe. Ich hätte vermutlich genauso reagiert, wie du.", seufzst er.
"Nach meinem Studium hat mein Onkel mir einige Aufgaben übertragen, bis ich vor 4 Monaten hier nach Brasilien musste, um das Geschäft weiter auszubauen. Mittlerweile gehören mir 70% des Geschäfts, mein Onkel kümmert sich nur noch um einen kleinen Teil in Nordmexiko und um den Süden der Vereinigten Staaten. Kalifornien, Texas, New Mexiko.", zählt er auf.

"Dann hast du eine große Verantwortung.", kombiniere ich anerkennend.

Er nickt.
"Ja. Und deshalb kann ich nicht einfach das tun, was ich wirklich will. Ich muss das Geschäft im Auge behalten, es steht an erster Stelle. Ich muss meine Männer schützen und meine Familie. Ich schwöre bei Gott, dass ich dir alles gesagt hätte. Aber ich konnte nicht. Ich wusste nicht, dass du mir so wichtig werden würdest, deshalb konnte ich dir nicht alles direkt erzählen. Ich hätte dich in eine unnötige Gefahr gebracht, verstehst du?"

"Ja, ja ich verstehe. Du kanntest mich ja gar nicht, warum also solltest du mir sowas erzählen. Erst recht, wenn es mich so in Gefahr bringen kann."

"Genau. Als ich mir sicher war, dass ich es dir erzählen muss, weil du mir wichtig bist, da war es zu spät. Da hattest du es schon herausgefunden. Da konnte ich auch nichts mehr retten.", flüstert er.

"Ja.", stimme ich ihm enttäuscht zu.

"Aber ich hätte es nicht anders regeln können. Es gab keinen richtigen Zeitpunkt dafür. Wenn ich gekonnt hätte, dann hätte ich es am liebsten auf Ewig von dir ferngehalten.", verteidigt er sich.

"Du wolltest mich also wirklich nur schützen.", stelle ich fest.

"Immer. Deine Sicherheit stand von Anfang an an erster Stelle, Kiara. Ich habe von Anfang an dafür gesorgt, dass du sicher bist. Deshalb auch die Jacke über deinem Kopf, wenn wir rausgegangen sind. Auch wenn wir da noch nichts miteinander hatten, wollte ich dich da nicht mit reinziehen. Das hattest du nicht verdient.", murmelt er und und schaut auf die Landkarte vor ihm, die er vor einigen Minuten gezeichnet hat.

"Ich wünschte, ich könnte dir erzählen, dass ich ein Bänker bin. Oder ein Anwalt. Aber dann würde ich lügen. Ich kann dir nur erzählen, dass ich ein schrecklicher Mensch bin, der davon lebt das größte Kartell in Mittel- und Südamerika zu führen und zu dessen Hauptaufgaben Drogendeals, Waffenhandel und das ermorden von Leuten gehört.", lacht er gekränkt und wirft seinen Kopf in den Nacken.

Es ist still.
Das Rauschen des Meeres füllt die Sprachlosigkeit zwischen uns aus.

"Frag ruhig.", murmelt er.

"Hm?", verstehe ich nicht ganz, auf was er hinaus will.

"Na los, frag mich. Es ist okay.", wiederholt er sich und schaut geradeaus aufs glitzernde Meer.

"Die Menschen, die du tötest - Sind sie- Haben sie-"

"Ob sie es verdient haben?", unterbricht er mich ruhig und schaut zu mir herüber.
Unsicher nicke ich, weil ich ihm nicht zu nah treten will. Und weil ich Angst habe, dass seine Antwort mich doch wieder schockieren könnte.

Er nickt.
"Ja. Ich töte niemanden und ich lasse auch niemanden töten, der es nicht verdient hat."

"Und der Polizist?", nuschel ich unbehaglich.

"Er wollte eine Frau vergewaltigen. Deshalb habe ich ihn abgeknallt. Er wollte sie vergewaltigen und er dachte, dass ich das durchgehen lasse. Also habe ich ihm eine Kugel durch den Kopf gejagt, während er ihren Rock hochgezogen hat. Und dazu stehe ich. Dafür schäme ich mich nicht und das bereue ich nicht. Kein Stück.", spricht er selbstsicher.

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now