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Manuel
18:49 Uhr

"Lass mich in Ruhe, verschwinde. Verpiss dich.", weint sie schmerzhaft.

Der Schmerz in ihren Augen bricht mir das Herz.
Ich presse meine Lippen zusammen, um den Kloß in meinem Hals herunter zu schlucken. Hilflos wende ich meine Blick ab, weil ich sie nicht ansehen kann.

Ich will nicht sehen, wie es ihr wegen mir geht. Ich will nicht den Hass in ihren schönen Augen sehen, den sie mir gegenüber empfindet.

"Kiara, lass mich dir helfen. Bitte. Es ist kalt, sieh dich an. Du bist nass. Lass mich dich in den Club bringen und dann verschwinde ich. Ich werde dir nichts tun, das verspreche ich dir.", versuche ich es erneut.

"Du bist ein Mörder. Du ermordest Polizisten! Du- Du schlitzt Leuten die Kehle auf!", brüllt sie und lässt erschöpft die Waffe sinken.
Das schwere Metall gleitet ihr fast federleicht aus der Hand, während sie sich auf dem Boden zusammen kauert.

Wie ein verschrecktes Tier sitzt sie in der kleinen Pfütze und scheint völlig fertig zu sein. Sie ist außer sich. Sie kann sich nicht beruhigen.
Langsam gehe ich auf sie zu.

"Komm mit mir mit. Bitte. Kiara, ich bitte dich.", flehe ich sie an und hocke mich vor sie. Als ich meine Hand auf ihren Rücken lege, weil ich glaube, dass es sie beruhigt, schreckt sie panisch hoch.

"Fass mich nicht an, du Psychopath!", kreischt sie und beginnt mich zu hauen. Wie ein wildes Tier schlägt sie auf mich ein, sodass ich kaum mein Gleichgewicht halten kann. Sie hat keine Chance gegen mich, aber das will ich ihr nicht zeigen. Sie soll sich überlegen fühlen, damit sie nicht noch mehr Angst vor mir bekommt.

Dennoch umfasse ich kinderleicht ihre Handgelenke, sodass sie mich nicht mehr hauen kann.

Psychopath

"Lass das. Lass mich los. Nimm deine dreckigen Finger von mir.", weint sie laut und versucht erfolglos ihre Hände zu befreien.

"Hey!", schreie diesmal ich.

Dann ist es ruhig.
Nur unsere schweren Atem sind zu hören.

"Hör mir zu. Bitte.", flehe ich sie mit ruhiger Stimme an.

Verheult schaut sie zu mir hoch.

"Ich bringe dich jetzt in den Club. Und dann lasse ich dich in Ruhe. Du musst mir versprechen, nicht abzuhauen. Du hast keine Chance in dieser Stadt. Versprich mir das. Bei mir bist du sicher, glaub mir das, Kleines.", erkläre ich ihr ruhig.

Das Blut an ihren Händen, vermischt sich im Regen, sodass auch meine Hände langsam rot werden.

"Ich bin unbewaffnet. Ich habe keine Waffe und kein Messer. Nichts. Ich kann dir nichts tun.", versichere ich ihr.

Sie schluchzst.

"Und du darfst die ganze Zeit meine Waffe bei dir behalten. Ich nehme sie dir nicht ab. Du kannst meine Waffe nehmen und sie bei dir lassen. Solange, wie du willst. Du sollst dich sicher fühlen und wenn du dich damit sicherer fühlst, dann darfst du sie bei dir lassen. Okay?"
Ich will ihr die Kontrolle geben. Sie soll in dieser Situation die Kontrolle haben, nicht ich.

Ich brauche die Kontrolle nicht.
Zumindest nicht in diesem Moment.

Nickend zieht sie die Waffe zu sich und umklammert sie fest mit beiden Händen.

"Pass auf, sie ist entsichert. Nicht, dass du dich verletzt. Darf ich sie sichern?", frage ich ruhig und deute auf das gefährliche Metall in ihren kleinen Händen.

Sie schüttelt den Kopf.
"Ich- Du sollst sie nicht- Ich will nicht, dass du-"

"Schon gut. Schon gut. Darf ich dir dann erklären, wie man sie sichert? Ich fasse sie nicht an, versprochen. Ich werde es dir nur zeigen.", unterbreche ich sie, weil sie keinen vernünftigen Satz über ihre vollen Lippen bekommt.

Zitternd atmet sie aus und nickt.

"Okay. Schau hier. Das musst du zurückschieben. Okay? Nur zurückschieben, dann passiert nichts. Dann kannst du dich nicht verletzen.", zeige ich es ihr ruhig.

"Okay.", haucht sie und schiebt den kleinen Hebel zurück.

"Gut. Du machst das gut.", lobe ich sie.
"Kannst du aufstehen?"

"Ich- Ich weiß nicht. Alles - Mir tut alles-", schluchzt sie erschöpft und beginnt wieder zu weinen.

"Okay. Wir haben Zeit. Mach dir keinen Stress. Es ist alles gut. Wenn du möchtest, kann ich dich tragen. Nur, wenn du willst. Okay? Sonst können wir hier solange bleiben, bis du dich besser fühlst.", biete ich ihr zwei Optionen an.

"Nein, nein. Nicht anfassen.", spricht sie panisch und rutscht weiter von mir weg.

"Kein Problem. Keine Angst, Kiara. Ich tue nichts, was du nicht willst. Alles gut.", beschwichtige ich sie.
Sie legt zitternd ihre Arme um ihren Körper und wippt aufgeregt hin und her.

Ich zögere nicht lange und ziehe meinen Winterparker aus.
"Darf ich dir meine Jacke umlegen? Du zitterst, du solltest nicht frieren.", schüttel ich den Kopf und halte ihr meine Jacke hin.

Sie antwortet mir nicht, aber sie wehrt sich auch nicht.
Langsam stehe ich auf und lege ihr vorsichtig meine Jacke über die Schultern. Ich ziehe ihr die Kapuze über den Kopf und achtet genau darauf, dass ich sie nirgendwo berühre.

"Besser?", frage ich sie anschließend und setze mich neben sie auf den kalten Boden.

"Ja.", haucht sie und zieht meine Jacke enger um ihren Körper.

"Gut. Das ist das wichtigste.", nicke ich und lege meine Arme auf meinen Knien ab.
"Macht es dir etwas aus, wenn ich mir eine Zigarette anzünde?"

Mit zitternder Unterlippe schüttelt sie kaum merklich den Kopf.

"Die Packung ist in meiner Jackentasche. Willst du sie mir geben oder darf ich sie herausnehmen?"
Ich will sie nicht überfordern. Mich erleichtert, dass wir überhaupt hier sitzen können. Nebeneinander.
Und mich erleichtert, dass sie sich ein wenig beruhigt hat.

Noch immer hat sie die Waffe fest umklammert, aber das macht nichts. Solange es ihr Sicherheit gibt, soll sie sie in den Händen halten. Sie soll sich nur sicher fühlen.

Sie antwortet mir nicht, sondern atmet bibbernd die kühle Luft ein. Vorsichtig führe ich meine Hand an die Jackentasche und beobachte ihre Reaktion. Sie zuckt kurz zitternd zusammen, schreckt aber nicht zurück.
Langsam greife ich in die Jackentasche und ziehe die Packung Zigaretten heraus.

Das Feuerzeug steckt in der Zigarettenpackung, weshalb ich mir die Zigarette sofort anzünden kann. Die Packung stecke ich anschließend in meine Hosentaschen.

"Du wirst nass.", merkt sie mit rauer Stimme an, während ich den Rauch auspuste. Tatsächlich hat es wieder angefangen zu regnen, aber das spielt absolut keine Rolle. Und wenn ich mir eine Lungenentzündung hole - egal.
"Nicht schlimm. Mach dir um mich keine Gedanken."

Schwarz wie die NachtOù les histoires vivent. Découvrez maintenant