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Kiara

"Hatte ich mich nicht klar ausgedrückt?", ertönt seine raue Stimme einige Meter von mir entfernt. Als ich mich umdrehe, sehe ich ihn hinter der Theke sitzen, sein Blick ruht auf seinem Handy, das in seiner Hand liegt.

Ohne mich anzuschauen, tippt er auf seinem Handy herum und wartet auf eine Antwort.

Gerade als ich Luft holen will, unterbricht er mich.
"Stimmt, ich scheine ja eine andere Sprache zu sprechen. Eine Sprache, die man in den Slums nicht spricht."

"Hör auf.", will ich, dass er nicht weiter auf meine Herkunft eingeht. Er tut das, um mich zu demütigen, das ist mir klar. Er zieht mich damit auf, dass er anscheinend aus einer besseren Gegend kommt als ich.

"Muss ich auch die Sprache der Slums sprechen?", übergeht er meine Bitte.

"Du kannst die Sprache der Slums nicht.", schüttel ich den Kopf und versuche ruhig zu bleiben.

Er schnalzt abwertend mit der Zunge, bevor er mir antwortet.
"Du auch nicht."

"Ich-"

"Du kommst doch gar nicht von dort. Versuch mich nicht zu verarschen. Eure Hütte sieht tausend Mal besser aus, als die der anderen. Dein Dad ist Alkoholiker und hat seinen Job verloren, deshalb seid ihr dort gelandet.", offenbart er mir, dass er alles über mich weiß.

Mein Herz beginnt zu rasen.
"Das stimmt nicht."

"Dass dein Dad Alkoholiker ist, stimmt nicht? Und der blaue Fleck an deiner Schläfe ist dadurch entstanden, dass du gegen eine Tür gelaufen bist, habe ich recht?", kontert er frech und hebt endlich seinen Blick.

Reflexartig zucken meine Finger zu meiner Schläfe, woraufhin er bestätigt mit den Schultern zuckt.

"Das ist nicht er. Er war betrunken, er meint das nicht so.", verteidige ich meinen Vater, obwohl das totaler Schwachsinn ist.
Und das weiß auch Manuel, deshalb beginnt er falsch zu lachen. Er lacht kurz, aber laut. Abwertend, als machte er sich über meine Aussage lustig. Gehässig. Spöttisch.

"Hey, machst du mir einen Whiskey? Danke.", wechselt er das Thema urplötzlich und zitiert dabei meine Worte von gestern Abend.
Seine Mundwinkel zucken leicht, sodass ich mir ein Lächeln nicht mehr verkneifen kann.

Er beobachtet mich so lange, bis ich mich abwende, um ihm einen Whiskey zu machen. Dann senkt er wieder seinen Blick und tippt beschäftigt auf seinem Handy herum.

"Du bist nicht von hier.", stelle ich fest, während ich das Glas mit Eis befülle.

"Und woher soll ich sein?", stellt er mir eine Gegenfrage und sperrt sein Handy, um es verkehrtherum auf die Theke zu legen.
Seelenruhig verschränkt er die Hände und schaut mir zu.

"Du hast einen leichten Akzent.", merke ich an und kippe den Whiskey ins Glas. Die goldene Flüssigkeit bringt die klaren Eiswürfel zum Schmelzen, wie die Sonne den Schnee in den Bergen der Anden.

"Niemand hört meinen Akzent.", runzelt er die Stirn und nimmt mir den Whiskey aus der Hand.

"Ich schon. Einige portugiesische Wörter sprichst du eben falsch aus. Irgendwie Spanisch."
Ich nehme mir den kleinen Hocker und setze mich hinter die Theke, sodass uns nur noch der Tresen trennt.

"Trinkst du mit?", übergeht er meine Feststellung gekonnt und hält den Whiskey hoch.

"Ich bin minderjährig, ich darf noch nicht trinken."

Seine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen.
"Richtige Antwort, das wollte ich hören."

Mit diesen Worten nimmt er einen Schluck der goldenen Flüssigkeit, während ich beobachte, wie sich seine Lippen um den Rand des Glases schmiegen.
Weich und feucht.

Peinlich berührt über meine Gedanken, überkreuze ich die Beine und versuche das Pochen in meinem Unterleib zu ignorieren.
Während er das Glas absetzt, schaut er mich wissend an. Stumm leckt er den letzten Tropfen des Whiskeys von seiner Unterlippe und schiebt mir das Glas herüber.

"Mach hier sauber und dann komm in mein Büro.", beendet er unser Pläuschchen und hüpft vom Barhocker.
Ich schaue dem kräftigen Kerl hinterher, wie er selbstbewusst und aufrecht an der Bar entlang läuft und in dem kleinen Flur verschwindet. Ich sehe ihn nicht mehr, aber ich höre, wie er das Büro aufschließt und kurze Zeit später die Tür zu knallt.

Nicht laut, aber doch so laut, dass ich zusammenzucke.

Ertappt und irritiert nehme ich sein leeres Glas und stelle es in die Spüle. Was soll ich hier noch aufräumen? Alles glänzt, es stehen keine Alkoholflaschen herum. Um Zeit zu schinden, fange ich an zu fegen, obwohl der Boden pieksauber ist.

Viel zu langsam schwinge ich den Besen, weil meine Gedanken verrückt spielen und ich Angst habe, dass gleich in seinem Büro etwas passieren könnte. Ich meine nicht, dass er mich kalt machen könnte, sondern viel eher, dass ich wieder so ein komisches Gefühl wie gerade bekomme.
Das mein Unterleib anfängt zu pochen, wenn er mich zu lange ansieht oder das ich Schwierigkeiten habe zu atmen.

Seufzend stelle ich den Besen zurück in die Ecke und wasche mir noch einmal die Hände, bevor ich zu Manuel gehe.
Ich zögere, bevor ich meine Hand hebe und mit der Faust leise gegen die Tür klopfe.

So leise, dass ich hoffe, dass er es überhört und ich wieder gehen kann.

"Hast dir ja Zeit gelassen.", stellt er fest, nachdem er teilnahmslos die Tür geöffnet hat. Er schaut mich nicht an, deshalb folge ich seinem Blick, der wie zu erwarten auf seinem Handy liegt.

"Ich sollte ja aufräumen.", erkläre ich meine Verspätung und quetsche mich durch den kleinen Türspalt, den er mir offen hält.

"Du musst mir die Unterlagen nach Daten sortieren. 2020, 2021 und 2022. Der Rest kann in diese Archivboxen.", erklärt er mir direkt, nachdem er sein Handy weggesteckt hat.

Stumm sehe ich mich um. Unter der Decke hängt der Rauch der vielen Zigaretten, die er hier drin geraucht hat. Der Kaffee, der auf seinem Schreibtisch zwischen den vielen Akten liegt, dampft noch frisch und versprüht seine Note im Raum.
Manuel schließt die Tür und setzt sich hinter den Schreibtisch.

"Wie viel verdiene ich überhaupt dafür?", stelle ich ihm eine sehr wichtige Frage.

"Verdienen? Ein Bett, ein Dach über dem Kopf und Essen.", antwortet er belustigt und schaut mich kurz irritiert an, bevor er seinen Laptop aufklappt und weiterarbeitet.

"Ich brauche Geld, dass ich meiner Familie schicken kann.", werde ich deutlicher und stelle mich direkt vor seinen Schreibtisch, damit er mir seine Aufmerksamkeit schenkt.

Schwarz wie die NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt