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Manuel
20:11 Uhr

Wütend schlage ich gegen meine Bürotür und laufe im Flur auf und ab.

"Manuel, deine Hand. Soll ich dir einen Arzt holen?", fragt mich Silvia.

"Nein. Nein, geht einfach. Lasst mich in Ruhe.", schicke ich Julio und Silvia weg.

"Du kriegst das wieder hin mit ihr. Sie ist liebevoll, sie wird dich verstehen.", versucht sie mir Mut zu machen.

"Silvia, dafür muss sie mir erstmal zuhören, verstehst du? Sie hört mir nicht einmal zu!", rufe ich verzweifelt und laufe ins Wohnzimmer.

"Gib ihr Zeit. Manuel, sie hat eine Leiche gesehen. Sie hat vor vier Stunden erfahren, wer ihr seid. Gib ihr Zeit.", wiederholt sie sich, während sie mir hinterher läuft.

"Du hörst dich an wie meine Tante.", spotte ich und laufe nervös durchs Wohnzimmer.

"Weil wir Frauen sind und recht haben, Manuel. Ruf deinen Onkel an. Er wird dir das Gleiche sagen. Du musst sie lassen, auch wenn es dir schwer fällt.", redet sie auf mich ein und reicht mir ein Glas Whiskey.

"Nein, danke.", lehne ich ab.
"Ich muss Kiara gleich noch in den Club bringen und sie will nicht, dass ich trinke und dann Auto fahre.", erkläre ich Silvia.

Ein mitleidiges Lächeln umspielt ihre Lippen.
"Du hast dich in sie verliebt."

Ich schnaube.
"Ja. Ja habe ich. Und jetzt? Was ändert das? Sie redet nicht mehr mit mir, weil sie denkt, dass ich ein Killer bin. Gerade eben, weißt du, was sie mich da gefragt hat?", frage ich Silvia ratlos.

Fragend schüttelt sie den Kopf.

"Sie hat mich gefragt, ob ich die Frauen vergewaltige, bevor ich sie umbringe. Verstehst du? Weißt du, was sie von mir denkt? Sie denkt, ich würde- Dios, sie denkt wirklich so von mir!", verzweifle ich und drücke meine Hände auf mein Gesicht.

"Manuel, sie ist verschreckt. Nimm ihr das nicht übel. Sie hat Angst. Sowas sieht man nicht alle Tage.", verteidigt sie Kiara.

"Ich weiß. Ich nehme es ihr auch nicht übel. Ich bin überhaupt gar nicht in der Position jetzt sauer auf sie zu sein. Aber es verletzt mich, dass sie mir überhaupt so eine Frage stellt.", schüttel ich enttäuscht den Kopf und setze mich aufs Sofa.

"Ich mache euch etwas zu essen. Wenn du sie in den Club bringst, dann achte darauf, dass sie isst. Du musst dich jetzt trotzdem um sie kümmern.", belehrt sie mich und verschwindet in der Küche.

"Wenn sie das nur zulassen würde.", murmel ich vor mich hin und knacke nervös meine Finger. Ich muss sie irgendwie dazu kriegen, mir zuzuhören. Und wenn ich sie mit mir in einen Raum sperre.

Sie muss mir zuhören und verstehen, dass ich das nicht aus Lust am Morden mache. Sie muss verstehen, dass ich sowas nicht aus Vergnügen machen.

Ich weiß nicht, wie lange ich hier unten sitze und auf meine Hände starre. Die Nervosität in meinem Körper lässt nicht nach, im Gegenteil. Meine Muskeln sind unter Spannung und mein Herz pocht doppelt so schnell.

"Darf ich etwas trinken?", ertönt Kiaras zarte Stimme.

Mein Herz macht einen Satz, nur um dann doppelt so schnell weiter zu schlagen. Ich drehe meinen Kopf in ihre Richtung, bevor ich eilig aufstehe und zu ihr herüber gehe.
"Natürlich. Was möchtest du? Wir haben alles da. Wasser, Cola, Fanta, Orangensaft? Sprite muss auch noch irgendwo sein."

"Wasser reicht, danke."
Sie zwingt sich ein Lächeln auf, aber es ist nicht echt.

Ihre Augen sind matt - sie glänzen nicht mehr, wie sie es sonst getan haben.

"Ich kann dir auch einen Kakao machen. Möchtest du einen Kakao? Deine Lippen sind noch ganz blau, ich mache dir auch einen Kakao.", bestimme ich schnell, gieße ihr aber trotzdem frisches Wasser in ein Glas und reiche es ihr.

"Danke, das ist nicht nötig. Wirklich.", lehnt sie ab und nippt an dem Wasser.

"Doch. Doch, das ist es. Setz dich einfach hin und schau Fernsehen. Ich kümmere mich.", versichere ich ihr und hole Milch aus dem Kühlschrank.

"Ich setze die Milch eben auf, dann helfe ich dir mit dem Fernseher. Was möchtest du schauen? Ich glaube es läuft gerade Fußball, Brasilien spielt. Möchtest du das sehen? Interessiert dich sowas?"

"Manuel.", beginnt sie.

"Ich glaube, dass sie gegen Argentinien spielen. Oder Ecuador? Ich weiß nicht ge-"

"Manuel.", unterbricht sie mich energischer.

"Sorry.", entschuldige ich mich.

"Kannst du- Kannst du mich ganz normal behandeln? Du brauchst mir nichts vorspielen. Und du kannst mich auch nicht umstimmen. Ich will hier weg. Tut mir Leid."
Mitleidig sieht sie mich an, wie ich mit dem Kakao Pulver in der Hand vor ihr stehe. Aber eigentlich habe ich ihren mitleidigen Blick nicht verdient.

Ich habe nichts weiter verdient, außer eine Faust.

"Kiara, geh nicht. Lass mich dir das erklären. Alles. Lass es mich wenigstens gesagt haben."

"Ich will da jetzt nicht drüber reden. Bring mich einfach in den Club.", beendet sie das Gespräch und stellt das leere Glas in die Spüle.
"Ich ziehe mir Schuhe an."

Erniedrigt knalle ich das Kakaopulver auf die Küchentheke und stelle den Herd aus. Ich bin nicht sauer auf sie; ich bin ungeduldig.
Das hier liegt absolut nicht in meiner Hand und das stört mich am meisten. Ich kann nichts tun.

Zügig laufe ich ihr hinterher und reiche ihr meine Winterjacke.
"Hier. Behalte die. Ich hole mir von oben eben eine andere und ziehe mir eine neue Hose an."

Kiara antwortet nichts, aber ich spüre ihren Blick auf mir, während ich die Treppe hoch jogge. Wenn ich mit dieser dreckigen Anzughose im Club auftauche, wird mich jeder fragen, wo ich gewesen bin.
Lachen werden sie, wenn ich so dreckig bin wie in Schwein.

Auf meinem Bett stehen noch die Taschen, die mit Kiaras Ausbeute vom Shoppen gefüllt sind. Eigentlich will ich keinen Blick reinwerfen, doch der dunkelgrüne Spitzenstoff hat mich vorhin schon neugierig gemacht.
Vorsichtig nehme ich den Stoff zwischen meine Finger und ziehe einen viel zu knappen String heraus.
Ich weiß bereits jetzt, dass dieser Grünton ihrer dunklen Hautfarbe perfekt stehen wird. Und ich weiß bereits jetzt, dass ich nicht will, dass jemand anderes sie darin sieht.

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now