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Manuel

"Hör auf.", brummt sie zickig und versucht vergeblich meine Hand zu lösen.

"Dann ignorier mich nicht, Princesa.", murmel ich und gebe der Flugbegleiterin ein Zeichen, dass sie das helle Licht in der Kabine ausmachen soll. Es ist spät und Kiara soll noch ein wenig schlafen können.

"Du lässt überhaupt nicht mit dir reden.", wirft sie mir verzweifelt vor, bevor ich ihre Hand nehme und sie festhalte, damit sie aufhört an meiner anderen zu zerren.

"Du hast recht. Bei diesem Thema lasse ich auch nicht mit mir reden. Und jetzt beruhig dich, por favor. Komm jetzt her und schlaf ein wenig, der Tag war aufregend.", bitte ich sie, während ich die Armlehne zwischen uns hochdrücke und danach auf meinen Schoß klopfe.

Fast schon schmollend schaut sie mich an, bevor sie nachgibt und ihren Kopf auf meinen Schoß legt.
Ich führe meine linke Hand in ihre Haare um mit ihnen zu spielen, während meine rechte Hand auf ihrer Taille unter dem Pullover ruht.

"Schlaf jetzt, Princesa. Wir reden nach dem Wochenende noch einmal, einverstanden? Lass uns in dieser Zeit nicht streiten.", bitte ich sie ruhig und beuge mich vor, um ihren Haaransatz zu küssen.

"Tut mir Leid.", flüstert sie.

"Entschuldige dich nicht. Tu das nicht. Es ist alles gut.", versichere ich ihr.
Sie soll sich nicht entschuldigen, weil sie ein guter Mensch ist und meinen Job nicht einfach so hinnehmen kann.

Das soll sie nicht.

Nicht, wenn sie aus mir einen besseren Menschen machen will.

Ich wünsche mir so sehr, dass sie irgendwann damit klar kommt und das akzeptieren kann. Mein Job steht zwischen uns, das kann ich nicht leugnen, aber wahrhaben will ich es auch nicht.

Meine Kleine hat daran zu knabbern - anscheinend stärker als ich ursprünglich gedacht habe.

Ich will sie fern halten, aber es klappt nicht. Selbst wenn ich direkt nach oben gehe, wird sie misstrauisch und folgt mir.
Sie ist zu neugierig, zu schlau.

Sie kombiniert zu gut.

Sie ist nicht naiv, das ist wohl das größte Problem.

"Wie lange fliegen wir noch?", fragt sie gähnend, sodass ich mich kurz erschrecke, weil ich davon ausgegangen bin, dass sie schon schläft.

"Noch zwei Stunden dann sind wir in Panama. Dann nochmal sechs Stunden nach Culiacan.", erkläre ich ihr und schaue kurz auf meine Uhr.

"Ganz schön lange.", murmelt sie und dreht sich um, sodass sie zu mir hochschauen kann.

Ich nicke.
"Ja. Sehr lange."

"Dann kannst du ja gar nicht so oft nach Hause zu deiner Familie.", stellt sie fest.

"Du solltest doch schlafen, Kleine.", erinnere ich sie schmunzelnd und streiche ihr über die pechschwarzen Haare.

Sie zuckt unschuldig mit den Schultern, während sie auf meine Antwort wartet.

"Ich bin seit meinem Umzug vor vier Monaten das erste Mal wieder in Mexiko.", stimme ich ihr zu, dass ich wirklich nur noch selten meine Familie sehe.

"Macht dich das traurig?"

"Ist schon in Ordnung so. Ich habe Verantwortung über ein ganzes Kartell, das überwiegt meistens. Über Weihnachten bin ich dann wieder da und jetzt zum Todestag meiner Eltern. Und wenn Amara, Celeste oder Miguel Geburtstag feiern.", erkläre ich ihr, dass es nicht ganz so selten ist.

"Aber sie kommen dich auch besuchen?"

"Nein. Eigentlich nicht. Der Besuch vor zwei Wochen war eigentlich eher spontan, ich hatte nicht mit ihnen gerechnet. Mein Onkel hatte anscheinend gerade Zeit und wenn meine Tante einen Wunsch hat, dann kann er ihr den nicht abschlagen. Auch wenn man es nicht meint - sie hat die Hosen an, er würde alles für sie tun.", lache ich leise und denke kurz an die Zeit zurück, in der ich gerade frisch bei ihnen eingezogen war.

Meine Tante hat ihn sogar dazu gebracht den Tisch selber abzuräumen, anstatt es immer seine Haushälterin machen zu lassen.

"Wie haben die beiden sich kennengelernt? Es sieht nicht so aus, als käme sie auch aus diesem.... Milieu?", fragt Kiara neugierig und legt ihren Hand unter ihre Wange.

Das ihre Hand jetzt auch noch genau an meinem Schritt liegt, hilft dieser Konversation nicht besonders.

"Sie hat einen Mord gesehen. Mein Onkel musste dann unfreiwillig ihr Leben schützen und so ist eins zum anderen gekommen.", lasse ich absichtlich einige Details aus.

"Wow. Okay, das ist krass.", stellt Kiara fest und schließt die Augen.

"Ja.", flüstere ich, sodass sie es vermutlich gar nicht richtig hören kann. Meine Tante hat mir noch nie viel über das Kennenlernen mit meinem Onkel erzählt. Sie redet nicht drüber. Manchmal scheint es mir, als würde sie es verdrängen wollen.

Ich will nicht wissen, was er ihr vielleicht angetan hat. Ich will es mir nicht vorstellen - nein. Als Kind habe ich mich oft gefragt, ob mein Onkel Schuld an der Narbe an ihrem Hals ist. Früher war die Narbe groß und rot - heute ist sie nicht mehr ganz so präsent.

Aber trotzdem ist sie da.

Amara erzählt nicht viel von ihrer Familie.
Ich kenne ihren Vater und ihren Bruder. Von Miguel weiß ich, dass sie eine Großmutter in Culiacan hatte, allerdings haben sie sich nicht oft gesehen.

Auch wenn ich glaube, dass sie beiden viel erlebt haben und meine Tante es nicht leicht hatte, haben sie zueinander gefunden.
Aber ich glaube auch, dass es nicht so gekommen wäre, wenn Amara nicht so stark wäre. Sie lässt sich nichts sagen - bietet sogar meinem Onkel die Stirn. Sie hat alleine ein Kartell aufgebaut, dass für meinen Onkel fast ein Untergang gewesen wäre.

Während ich Kiara durch die Haare streiche und mir ihr Profil anschaue, hoffe ich, dass sie auch so stark sein kann. Ich hoffe, dass sie nach diesem Wochenende bei mir bleibt und mich nicht von sich stößt.

Schwarz wie die NachtWhere stories live. Discover now